Das Ende des Boykotts[1]
Wir haben den Beginn des Boykotts ohne jede Illusion betrachtet, und haben bei seinem ruhmlosen Ende keine Ursache zu besonderen Anschuldigungen oder Lamentationen. Er ist von opportunistischen Organisationen (wenn auch unter dem Drucke der revolutionären Massen) gemacht, er ist von seinen Urhebern opportunistisch geführt worden. Kein Wunder, daß sein Ende ruhmlos und opportunistisch werden mußte. Solange das Proletariat in legaler oder in phrasenhaft revolutionärer Weise dem Kapitalismus gegenübersteht, hat es seinen Kampf bereits verloren. Insbesondere, wenn sein Gegner so offen und skrupellos konterrevolutionär ist, wie das Ungarn Horthys. Da der Boykott von vornhinein darauf eingestellt war, Horthys Regime nicht zu stürzen, sondern eine papierene Scheinkonzession, eine Legalisierung des Terrors auf dem Wege von Verhandlungen von ihm zu erreichen; da er dementsprechend, um die „Sympathien“ der europäischen Demokratie nicht zu verlieren, stets bestrebt war, legal zu bleiben und den Klassenkampf in den boykottführenden Ländern nicht allzusehr zu verschärfen; da er ohne wahrhafte Internationalität nur gegen den weißen Terror in Ungarn, nicht aber gegen das Bestehen des weißen Ungarns, als eines Bollwerkes der internation[al]en Konterrevolution gerichtet war: war er von Anbeginn zu Tode verurteilt.
Die Wichtigkeit der Tatsache, daß der Boykott überhaupt erklärt wurde, und alle seine Folgen für das ungarische und das außerungarische Proletariat blieben bestehen.[2] Daß die ungarische Regierung nicht einmal zum Scheine kapitulieren mußte, ist zwar eine Niederlage für das Weltproletariat, für Ungarn selbst sind aber die Folgen des – stets unvollkommen durchgeführten – Boykotts doch nicht angebliche. Die ‚wirtschaftlichen Schäden sind bedeutend, insbesondere für die kleineren Landwirte; der Klassenkampf ist entschieden verschärft worden.
Der Boykott versagte, als seinem Wesen nach revolutionäre Maßnahme des Proletariats von dem Augenblick an, als es klar wurde, daß seine Methoden über den legal-opportunistischen Rahmen, den seine Urheber für ihn vorgezeichnet haben, nicht hinausgehen werden. Von dem Moment. also, als die scharfe Stellungnahme der Eisenbahnarbeiter an der Ostbahn gegen die konterrevolutionäre und sabotierende Beamtenschaft gütlich beigelegt wurde. Die Arbeiterschaft Deutschösterreichs war nicht imstande, die revolutionäre Richtung des Boykotts folgerichtig weiter zu treiben, um dadurch die opportunistischen Urheber zu einer Stellungnahme gegen den Boykott zu zwingen. Noch weniger klar war die Haltung der Arbeiter der Tschecho-Slowakei. Sie hätten gegen die revolutionäre Phrase ihrer Führerschicht ankämpfen und sie entlarven müssen. So blieb es bei schönen, aber hohlen Resolutionen, die den Verkehr mit Ungarn wenig behinderten.
Aber der tiefste Grund des Scheiterns liegt am Mangel an internationalen Gesichtspunkten. Der Boykott gegen Horthy-Ungarn war allzusehr als Sympathiekundgebung eingestellt. Und, so tief das Mitgefühl der europäischen Proletarier mit ihren geknechteten und mißhandelten Brüdern ist, zu einer großen, revolutionären Tat kann es sich doch nicht begeistern. Wir sehen ja, wie stark und erfolgreich – ohne Beschluß der Gewerkschaftsinternationale – die Boykottbewegung gegen Polen ist. Und zwar deshalb, weil die Arbeiter aller Länder es lebhaft empfanden: sie verteidigen Rußland, sie verteidigen ihre eigene Revolution, wenn sie Polen im Entscheidungskampf die Unterstützung der Entente nicht zukommen lassen.
Diesen internationalen Gesichtspunkt konnten und wollten die Herren von Amsterdam selbstverständlich nicht in den Boykott gegen Ungarn hineinbringen. Es ist aber sehr naheliegend, und wird von Tag zu Tag näherliegend: Ungarn ist der Polenersatz der Entente, das Aufmarschgebiet und die Reserve für die militärische Hilfe gegen Rußland. Dies muß das Weltproletariat begreifen. Unbekümmert darum, daß die Amsterdamer Opportunisten den Boykott beenden wollen, ist die revolutionäre Arbeiterschaft verpflichtet, ihn fortzusetzen. Denn es ist einerlei, ob ein Transport nach Polen oder nach Ungarn geht: es ist für die Verstärkung der Feinde Sowjetrußlands bestimmt. Diese Erwägung hat das Handeln der Arbeiterschaft zu bestimmen, und wird sie auch hoffentlich bestimmen. Darum kann eine Beurteilung des Boykotts nur mit der Parole enden: Der opportunistische Boykott gegen Ungarn ist tot – es lebe der revolutionäre Boykott gegen alle Feinde Sowjetrußlands!
[1] Kommunismus, Wien 1920. augusztus 17. (I. Jg.., Nr. 32.), 1096–1097.
[2] Hierüber ausführlich im Artikel „Kapitalistische Blockade, proletarischer Boykott” in Nr. 25/26 des „Kommunismus” – D. R. – Anmerkung der Redaktion des „Kommunismus”.