Ein Aufruf[1]

 

Zu denjenigen, die nach der Niederwerfung der bolschewistischen Herrschaft in Budapest nach Wien flüchteten, und deren Auslieferung jetzt verlangt wir, gehört der philosophische Schriftsteller Georg v. Lukács. Wir haben den folgenden Aufruf erhalten, in dem Vertreter des deutschen Schrifttums, die dem Bolschewismus fernstehen, sich für Lukács verwenden, und der hoffentlich in Budapest wie in Wien Gehör finden wird:

Zur Rettung von Georg Lukács

Nicht der Politiker, der Mensch und Denker Georg v. Lukács soll verteidigt werden.

Einst hatte er die Verlockungen des verwöhnten Lebens, das sein mitgeborenes Teil war, hingegeben für das Amt des verantwortungsvollen, einsamen Denkens. Als er sich der Politik zuwandte, hat er sein Teuerstes, seine Denkerfreiheit, geopfert dem Werk des Reformators, das er zu vollbringen meinte.

Von Oesterreich, wo er unter Aufsicht gehalten wird, fordert die ungarische Regierung seine Auslieferung: er soll die Ermordung politischer Gegner veranlasst haben. Nur verblendeter Haß kann die Beschuldigung glauben.

Lukács‘ Rettung ist keine Parteisache.

Pflicht ist es allen, die im persönlichen Verkehr seine menschliche Reinheit erfahren, und den vielen, die die hochgestimmte Geistigkeit seiner philosophische-ästhetischen Bücher bewundern, gegen die Auslieferung zu protestieren.

Franz Ferdinand Baumgarten, Richard Beer-Hofman, Richard Dehmel, Paul Ernst, Bruno Frank, Maximilian Harden, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Thomas Mann, Emil Preetorius, Karl Scheffler.

Georg Lukács lebte mehrere Jahre in Heidelberg. Durch seine Persönlichkeit und durch sein Buch Die Seele und die Formen hat er die Aufmerksamkeit der Wissenschaftlichen und literarischen Kreise in Deutschland erregt und sich die Wertschätzung gesichert, die jetzt in dem Aufruf zum Ausdruck kommt.

 

[1] Berliner Tagblatt, 12. 11. 1919. (Jg. 48. Nr. 538.), Morgenausgabe, S. 3.