Ernst Bloch
Zur Rettung von Georg Lukács[1]
Von neuem ist ein kostbares Leben bedroht.
Die ungarische Reaktion verlangt von den Oesterreichen Lukács’ Auslieferung, des ehemaligen Volksbeauftragten für Unterricht. Er soll Mordtaten begangen haben. Wer immer Lukács persönlich oder aus seinen Schriften kennt, durschaut diese Anklage als infame Lüge. Da man aber in Budapest die Lüge selber kennt und nur als Vorwand benutzt, um auf jeden Fall einen bedeutenden politischen Gegner auszutilgen, so ist Lukács verloren, fällt er in die Hände der Reaktion.
Lukács ist menschlich unantastbar. Er entzog sich der reichen Bourgeoisie, der er entstammt, um ein einsames, bedürfnisloses, theoretisches Leben zu führen. Er verließ, was ihm gewiß ein schweres Opfer was, auch noch diese philosophische Existenz, um sich an der Stelle, wo ernsthaft Geschichte zu geschehen schien, für das als Recht Erkannte, für die Aufhebung der Not und des Zufalls, für die Freilegung des edleren Lebens einzusetzen. Lukács, der Denker Tolstois und Dostojewskys, hatte niemals eine andere, als rein geistige Stellung in der ungarischen Republik.
Lukács ist als Philosoph einer der Großen, wie zumeist nur einmal in jeder Generationen erscheinen, und die unsere Zeit seit mindestens drei Generationen überhaupt nicht mehr sah. Seine Arbeiten, er ist 34 Jahre alt, sind erst zum kleineren Teil veröffentlicht, aber schon dieser reicht aus, ein Bild zu geben. Die Linien sind deutlich, die von seinem ersten Werke, einer umfassenden Soziologie des Dramas, über das feine, klare, tiefsinnige Essaybuch Die Seele und die Formen, über die schweren und methodisch strengen Fragmente der letzten Veröffentlichungen in den Kantstudien und dem Logos zum geplanten, geistig fertig umrissenen Hauptwerk führen. Es wir eine Ethik sein, weit und streng wie das Werk Spinozas, aber mit noch tieferem Recht, als dieses auf seinen aller Disziplin überlegenen Titel. Will man eine kurze und so freilich nicht einmal recht andeutende Ortsangabe, so läßt sich sagen: Lukács wird den Weg theoretische zu Ende gehen, den Tolstoi und Dostojewsky gezeigt haben, er wird von jeher auf Russland bezogen, die Philosophie Iwans und Aljoschas Karamasow ans Ziel bringen.
Die ungarische Reaktion beginge also – und sie werde daran verhindert! – mit der Verurteilung von Georg Lukács nicht nur einen Justizmord, sondern auch den furchtbarsten, verbrecherischsten Eingriff in das Leben des Geistes.
[1] Die weißen Blätter, Berlin December 1919. (Jg. VI. évf. Nr. 12.), S. 529–530.