Karl August Wittfogel

Geopolitik, geographischer Materialismus und Marxismus[1]

 

[…]

III.[2]

k. Zunehmende oder abnehmende Bedeutung des Naturmoments in der entwickelten gesellschaftlichen Produktion?

Noch immer stellen wir nicht die „geschichtsphilosophische” Endfrage, welches Moment das andere bestimmen, das gesellschaftliche oder das natürliche. Auf Grund der von uns gegebenen geschichtlichen Aufstellung fragen wir vorerst lediglich: Hat die Bedeutung des Naturmoments mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Momente der Produktion ab- oder zugenommen? Demjenigen, der der Marxschen Konzeption gedanklich wirklich nachgegangen ist, ist in der Frage die Antwort enthalten. Dennoch zwingen die zahlreichen Missverständnisse über den Gegenstand zu einer ganz ausdrücklichen Antwort.

Mit dem Wachstum der gesellschaftlichen Bedingungen (Kräfte) des Produktionsprozesses wächst auch die Bedeutung des Naturmoments; die Entfaltung der gesellschaftlichen und der naturbedingten Produktivkräfte geht Hand in Hand. Jedoch ist diese Bewegung keine mechanisch gradlinige, sondern, wie unsere Aufstellung deutlich macht, eine recht komplizierte, „zickzackmäßige“. Wenn wir die Gestaltung der „Natur des Menschen“ mangels Klärung der Tatsachen durch die Spezialforschung offen lassen – wir haben das Unfertige der bisherigen Erkenntnis auf diesem Gebiete durch Einsetzung von Fragezeichen angedeutet – so ist vor allem der Bedeutungswandel auf dem Gebiete der Arbeitsgegenstände, der auffällt. Die direkte Entnahme natürlicher Stoffe, die auf der frühesten Stufe der Produktion völlig ausschlaggebend ist, geht, was ihre Bedeutung anbelangt, auf der Stufe der großen „Ackerbaugesellschaften“ durchaus zurück. Es ist hier vor allem auf dem Wege über die naturbedingten Produktionsmittel (Bodenfruchtbarkeit, Wasser), dass die Natur ihren Einfluss geltend macht. Auch auf der Stufe der Manufaktur, in der die „gesellschaftliche Naturkraft”[3] der Kooperation die Änderung des Charakters der materiellen Produktion hervorruft, hebt sich die Bedeutung der natürlichen Arbeitsgegenstände nicht wesentlich. Erst mit dem Einbruch der maschinellen Industrie erhält die Welt der Naturstoffe ihre überragende Bedeutung. Auch die Produktivität der Agrikultur wird von nun an mit dem Fortgange ihrer Maschinisierung in immer zunehmendem Maße indirekt abhängig von der Gestaltung der „Behälter“, die den natürlichen Reichtum an industriellen Arbeitsgegenständen bergen.

Vergegenwärtigen wir uns die Gliederung des modernen kapitalistischen Produktionsprozesses in seiner Gesamtheit. Die Basis der „eigentlichen Industrie“[4] ist die Agrikultur einerseits, die die tierisch-pflanzlichen Rohstoffe liefert und die extraktive Industrie andererseits, der die unorganischen Rohstoffe entnommen werden. Als vierte Sphäre der materiellen Produktion, die genannten drei Sphären durchdringend, sie in sich selbst und miteinander verbindend, fungiert die Transportindustrie.[5] Das [ist] die Struktur der modernen Produktionsordnung, sachlich genommen. Das Schwergewicht innerhalb der verschiedenen Sphären hat sich, gegenüber den vorher durchlaufenen Stufen, wesentlich verschoben; und die Verschiebung hält an. Wichtig ist hier zunächst einmal die Verschiebung der natürlichen und gesellschaftlichen Momente in der Landwirtschaft. Es liegt, sagt Marx, „in den Naturgesetzen des Feldbaues, dass bei einer gewissen Höhe der Kultur und ihr entsprechender Erschöpfung des Bodens das Kapital, hier zugleich im Sinne schon produzierter Produktionsmittel, das entscheidende Element der Bodenkultur wird“.[6] Es scheint das eine Zurückdrängung des Naturmoments aus der agrikolen Sphäre zu bedeuten. Aber einmal bedeutet die Heranziehung steigender Mengen maschineller Vorrichtungen in dem landwirtschaftlichen Arbeitsprozess zugleich die Heranziehung neuer Vorrichtungen, um andere Gruppen von Naturkräften neu oder um die bereits ausgenutzten Naturkräfte intensiver auszunutzen. Sodann aber wird in der Masse, in dem auch die Agrikultur direkt von der eigentlichen Industrie und damit indirekt von der extraktiven Industrie abhängig wird, die Bedeutung der dieser Sphäre der Produktion zugrunde liegenden Naturverhältnisse eine immer umfassendere. Die Abhängigkeit von Naturverhältnissen nimmt einen immer vermittelteren Charakter an, aber die Abhängigkeit selbst bleibt.

Wie drückt sich nun die günstige oder ungünstige Lage der Naturverhältnisse gesellschaftlich aus? Im Grenzfall steigert oder senkt sich die Quantität der Produktivität einer Produktionsweise dermaßen, dass die historische Schwelle überschritten wird und eine neue Qualität von materiellen Produktionsbeziehungen mit den entsprechenden gesellschaftlichen Konsequenzen sich ausbildet. Wie aber wirkt sich innerhalb einer bestimmten Wirtschaftsordnung, sagen wir: innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, solange die historische Grenze nicht erreicht wird, die Gunst oder Ungunst der Naturmomente aus? Die physiokratische Auffassung, dass der Überschuss als solcher aus dem Boden wachse, und dass der Mehrwert etwa gleich Bodenfruchtbarkeit zu setzen sei, wird von Marx in immer neuen Wendungen als unrichtig abgewiesen. Die Gunst oder Ungunst der naturbedingten Produktivkräfte steigert oder senkt zunächst nur die Masse der erzeugten Produkte, ändert die Menge der hergestellten Gebrauchswerte. Hieran ist unter allen Umständen als an dem Ausgangspunkt festzuhalten. Aber bleibt es dabei? Findet keine Auswirkung auf die gesellschaftliche Seite der Sache statt? Bleiben die Tauschwertverhältnisse durch diese Veränderung der Gebrauchswertseite unberührt? Wenn die Veränderung durch Naturumstände alle Zweige der Produktion gleichmäßig träfe, wenn also die Produktivität der extraktiven Industrie und der Agrikultur sich genau parallel änderte und wenn die daraus folgende Verteuerung oder Verbilligung der Lebensmittel und Rohstoffe in ebenso gleichartiger Weise auf alle Industriezweige wirkte, so würde kein Wechsel in der organischen Zusammensetzung der Industrie, jedoch ein entsprechendes Sinken oder Steigen der Mehrwertrate, damit der Profitrate und damit der Akkumulationsrate eintreten („Theorien über den Mehrwert.“ Bd. II, 2. Teil. S. 223, 228 ff. und 230. ff.).

Nun ist es aber faktisch nie so. Dass ein Wertwechsel in der Sphäre der Urproduktion sowohl den Wert der Rohstoffe wie denjenigen der Löhne gleichmäßig träfe, „dieses dürfte in der Praxis niemals der Fall sein” (a. a. 0., S. 219.)

Es ist vielmehr die Regel, dass, soweit es sich um das Einspielen der „unkontrollierbaren Naturverhältnisse“ handelt, die zunehmende oder abnehmende Produktivität sich in durchaus ungleichmäßiger Weise geltend macht, indem entweder nur eine Abteilung der Urproduktion, die Landwirtschaft oder die extraktive Industrie, oder gar –  und das dürfte am häufigsten vorkommen – nur einzelne Sektionen innerhalb eines dieser beiden Komplexe ihre Produktivität ändern. Indem nun in einer Gruppe von Gebrauchswerten die in ihnen enthaltene Arbeitsmenge relativ zu der in den übrigen Produkten enthaltenen Menge ab- oder zunimmt, verschieben sich zugleich die Wertproportionen. Die organische Zusammensetzung der Kapitale erleidet eine Änderung. Annahme l: Abnehmende Produktivität in einem Zweig der Rohstoffproduktion.

Der Wert des Rohmaterials steigt ..., seine Masse fällt … Es muss mehr in Rohstoff verausgabt werden, bleibt weniger für Arbeit, und es kann nicht dieselbe Masse Arbeit wie früher absorbiert werden. Erstens physisch nicht, weil ein Ausfall im Rohstoff da ist; zweitens, weil größerer Wertteil des Produkts in Rohstoff verwandelt werden muss, also geringerer in variables Kapital verwandelt werden kann. Die Reproduktion kann nicht auf derselben Stufenleiter wiederholt werden. Ein Teil des fixen Kapitals steht still, ein Teil der Arbeiter ist aufs Pflaster geworfen. Die Profitrate fällt, weil der Wert des konstanten Kapitals gegen das variable gestiegen ist und weniger variables angewandt wird. Die fixen Abgaben – Zins, Rente –. die auf die gleich bleibende Rate des Profits und der Ausbeutung der Arbeit antizipiert sind, bleiben dieselben und können z. T. nicht bezahlt werden. Daher Krise. Arbeitskrise und Kapitalkrise.“ Für die Verteurung der Produktion von Lebensmitteln gilt, bei anderen Zwischengliedern, im Effekt doch das Gleiche wie bei der Rohstoffverteuerung.“[7]

Eine ähnliche Wirkung wie Wandel in der Quantität hat gute oder schlechte Qualität der Rohstoffe.[8] Die Bedeutung der Rohstoffe für die Reproduktion ist demgemäß eine durchaus entscheidende:

„…So zeigt es sich hier wieder, wie ein Steigen in Preis des Rohstoffs den ganzen Reproduktionsprozess beschneiden oder hemmen kann, indem der aus dem Warenverkauf gelöste Preis nicht hinreicht, alle Elemente der Ware zu ersetzen; oder indem er es unmöglich macht, den Prozess auf einer seiner technischen Grundlage gemäßen Stufe fortzusetzen.“[9]

Günstige Gestaltung der Naturverhältnisse in Agrikultur und extraktiver Industrie wirken in ähnlich folgenschwerer Weise. Wir deuten den Zusammenhang, den Marx in sehr weit ausgedehnten Berechnungen und Analysen nachgegangen ist, hier nur kurz in seinen ökonomischen Hauptmomenten an. Ist der „produktiv ausgebeutete Naturstoff – der kein Wertelement des Kapitals bildet –, Erde, Meer, Erze, Waldungen usw.“ ergiebiger, so wird zunächst nur die Masse des Produkts erhöht, nicht sein Wert;[10] im Gegenteil, der Wert der Gebrauchswerteinheit fällt, das Rohprodukt sinkt im Preise. Falls es agrikole Rohprodukte sind, die billiger werden, so sinkt der Arbeitslohn, weil der Preis der Lebensmittel, in allen Zweigen der Produktion.[11] Sinken des Preises der nicht agrikolen Rohstoffe wirkt direkt auf diejenigen Industriezweige, die die unmittelbaren Verbraucher der entsprechenden Rohmaterialien sind; indirekt auf alle Industriezweige, da die Preissenkung des Rohmaterials für Maschinen, Gebäude usw. alle Industriezweige affiziert,[12] wenn natürlich auch in der mannigfaltigsten empirischen Variation. Es findet so auch eine indirekte Einwirkung auf die Lebensmittel und dadurch wieder auf die Löhne statt, da die wachsende Produktivität der in der Erzeugung der Lebensmittel verwandten produzierten Produktionsmittel eine „Verwohlfeilerung der Arbeit“ zur Folge hat.[13] So kann also mit einem geringeren Wertaufwand, da die Rate des Mehrwerts steigt, das gleiche Wertprodukt oder mit zusätzlichem Kapital – neuem v und neuem c – ein größeres Wertprodukt erzeugt werden. Die Reproduktion kann erweitert werden. Die Akkumulation steigert sich.[14]

Warum ist nun bei entwickelter Industrie die Rohstofffrage eine so wesentliche? Inwiefern wirken gerade Änderungen in der Produktivität auf dem Gebiete der Rohstofferzeugung und damit Preisänderungen auf diesem Gebiete in so einschneidender Weise? Einerseits ist der Ersatz der Rohstoffe ungleich dringlicher als derjenigen der Maschinerie, von der nach jedesmaligem Verkauf des Produkts nur der Verschleiß zu ersetzen ist, während die Rohstoffe (die Hilfsstoffe einbegriffen)[15] jedes mal ganz verbraucht werden und also vollständig neu gekauft werden müssen. Aber dieses Moment hat doch auch deshalb so enorme Wirkungen, weil mit zunehmender Entwicklung der Industrie, mit ihrer wachsenden Produktivität, d. h, mit dem Zunehmen des Rohmaterialquantums, das die gesellschaftliche Arbeit in einer Zeiteinheit verarbeiten kann, die Masse des Rohmaterials – und auch ihr Wert – im Verhältnis zur Arbeit und zur Maschinerie zunimmt,

„Im Verhältnis … wie die Produktivkraft der Arbeit sich entwickelt, bildet der Wert des Rohstoffs  einen stets wachsenden Bestandteil des Werts des Warenprodukts, nicht nur, weil er ganz in diesen eingeht, sondern weil in jedem aliquoten Teil des Gesamtprodukts der Teil, den der Verschleiß der Maschinerie, und der Teil, den die neu zugesetzte Arbeit bildet, beide beständig abnehmen. Infolge dieser fallenden Bewegung wächst verhältnismäßig der andere Wertteil, den der Rohstoff bildet, wenn dies Wachstum nicht aufgehoben wird durch eine entsprechende Wertabnahme auf Seiten des Rohstoffs, die aus der wachsenden Produktivität der zu seiner eigenen Erzeugung angewandten Arbeit hervorgeht.“[16]

Ist nun die Wertabnahme der Rohstoffe groß genug, um die Zunahme des verhältnismäßigen Wertes des Rohstoffes in der Produktion zu kompensieren? Marx sieht sehr wohl die Tendenzen, die in dieser Richtung wirken, allein, trotz aller Verwohlfeilerung gewisser agrikoler und der Minenprodukte, überwiegt nach ihm, und zwar eben aus Gründen der Naturverhältnisse in der Produktion organischer und bergbaulicher Rohstoffe, doch die gekennzeichnete Haupttendenz. „Die Verwohlfeilerung der Rohmaterialien, der Hilfsstoffe usw. verlangsamt das Wachstum des Wertes dieses Kapitalteils, hebt es aber nicht auf .“[17]

Bei dermaßen großer Bedeutung der Naturverhältnisse gerade auch für die moderne Industrie entsteht natürlich die Frage, ob denn wohl die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte in der Lage ist, eine eventuelle Abnahme der natürlichen Reichtümer in ihrer gegenwärtig ökonomisch aktuellen Gestalt zu kompensieren oder vielleicht gar überzukompensieren. In den Analysen von G. Lukács ist in sehr betonter Weise vom Zurückweichen der Naturschranke die Rede, davon, dass der vergesellschaftete Mensch im Laufe einer gewiss langwierigen Entwicklung sich der Herrschaft über die Natur bemächtige, dass er „die Unterwerfung der Natur unter die Kategorien der Vergesellschaftung“ bereits durchgeführt habe-[18] In diesen einseitigen Formulierungen ist – ganz abgesehen von der rein tatsächlichen Verkennung solcher Marxworte wie „Zurückweichen der Naturschranke“[19] – über der Betonung des aktiven, tätigen Moments, das der gesellschaftlich arbeitende Mensch darstellt, die andere, die sachlich natürliche Seite des Zusammenhangs völlig vergessen. In den pessimistischen Formulierungen vom Gesetz des abnehmenden Bodenertrages finden wir über dem Naturmoment das gesellschaftliche Moment in analoger Weise vernachlässigt. Was den Theoretikern der Bourgeoisie pessimistisches Dogma, was den Überschätzern des aktiven Moments (den Technizisten, denjenigen, die, wie Lukacs, von den gesellschaftlichen Produktivkräften her die Entwicklung der Geschichte glauben bestimmen zu können), optimistisches Dogma ist, war für Marx, Engels, Plechanow, Lenin Gegenstand einer sehr sorgsamen Untersuchung, in der das Gewicht der beiden Momente – deren dynamisches Verhältnis zueinander stets klar gesehen ist – in zugleich dialektischer und materialistischer Weise gegeneinander abgewogen wird.

Dass, dem organischen Charakter der Landwirtschaft entsprechend, der gesellschaftlich arbeitende Mensch diesen Teil seines Produktionsprozesses nie ganz beherrschen werde, hat Marx mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit ausgesprochen;[20] Engels hat auf den Gegensatz der Industrie zum Ackerbau hingewiesen, „der sich bis heute vom Wetter beherrschen lassen muss, statt das Wetter zu beherrschen“;[21] und Lenin unterstreicht ebenfalls die Besonderheiten der Landwirtschaft,

„die absolut (!W.) nicht zu beseitigen sind, so dass infolge dieser Besonderheiten die maschinenmäßige Großindustrie niemals alle jene Eigenschaften aufweisen (wird), die sie in der Industrie auszeichnen“.

Die Möglichkeit einer synthetischen Herstellung von Nahrungsmitteln – die ja übrigens das Naturmoment nicht beseitigen, sondern wieder nur seine Bedeutung in der extraktiven Industrie, als der unvermeidlichen Rohstofflieferanten steigern würde – schiebt Lenin beiseite, als in allzu weiter Ferne liegend und allzu problematisch”.[22] Solange also der Mensch auf diese Art von Produktion angewiesen ist, bleibt hier ein peinlicher, unbeherrschbarer „Erdenrest“, den die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte zwar ungeheuer einzuschränken, aber nie völlig zu beseitigen vermag. Dass, im Rahmen der kapitalistischen Akkumulation, die naturbedingten Wachstumsformen der agrikolen Produktion ein typisches Krisenelement bilden – von den Krisen durch Missernte ganz zu schweigen –, hat Marx ausführlich entwickelt.[23]

In der Urproduktion allgemein, deren wachsende Bedeutung aus allem bisher Entwickelten klar hervorgeht, sieht Marx einen Kampf der beiden Grundelemente der Produktivität der Arbeit, den er folgendermaßen fixiert:

„Dass die Entwicklung der Produktivkraft in den verschiedenen Industriezweigen nicht nur in sehr verschiedenen Proportionen, sondern oft in entgegengesetzter Richtung vorgeht, entspringt nicht nur aus der Anarchie der Konkurrenz und der Eigentümlichkeit der bürgerlichen Produktionsweise. Die Produktivität der Arbeit ist auch an Naturbedingungen gebunden, die oft minder ergiebig werden in denselben Verhältnissen wie die Produktivität – soweit sie von gesellschaftlichen Bedingungen abhängt – steigt. Daher entgegengesetzte Bewegung in diesen verschiedenen Sphären, Fortschritt hier, Rückschritt dort. Man bedenke z. B. den bloßen Einfluss der Jahreszeiten, wovon die Menge des größten Teils aller Rohstoffe abhängt, Erschöpfung von Waldungen, Kohlen und Eisenbergweisen usw.“[24]

Und ähnlich an einer anderen Stelle: Es handelt sich

„bei der Agrikultur (wie bei der Bergwerksindustrie nicht nur um die gesellschaftliche, sondern auch um die naturwüchsige Produktivität der Arbeit, die von den Naturbedingungen der Arbeit abhängt. Es ist möglich, dass die Zunahme der gesellschaftlichen Produktivkraft in der Agrikultur die Abnahme der Naturkraft nur kompensiert oder nicht einmal kompensiert – diese Kompensation kann immer nur für eine Zeit wirken – so dass trotz der technischen Entwicklung das Produkt nicht verwohlfeilert, sondern nur eine noch größere Verteuerung desselben verhindert wird.[25]

Oder, mit besonderer Betonung nun der extraktiven Industrie:

„Was Kohle und Metalle angeht (Holz), so wurden sie sehr verwohlfeilert im Fortschritt der Produktion, indes bei Erschöpfung der Minen wird auch dieses schwieriger.“[26]

Es handelt sich bei Marx hier um alles andere als um die Anerkennung des Gesetzes vom abnehmenden Bodenertrag oder dergleichen. Es ist lediglich die wirklich beide Momente der Produktivität, das gesellschaftliche wie das natürliche, stets zugleich im Auge behaltende Betrachtungsweise Marxens, die in diesen Formulierungen zum Ausdruck kommt. Ob sich durch Aufbrechen neuer Bodenschätze, durch Inangriffnahme neuer Böden die Produktivität der Arbeit hebt, ist nach Marx

„eine historische Frage. In der Wirklichkeit werden sich die aufsteigende und die absteigende Linie kreuzen, wird die vermehrte Nachfrage befriedigt werden durch Übergang bald zu mehr, bald zu minder fruchtbarer Bodenart, Mine, natürlicher Produktionsbedingung.“[27]

Wenn Marx dann schließlich doch zu einer optimistischen Auffassung kommt – „die Erde …, richtig behandelt, verbessert sich fortwährend“[28] – so handelt es sich hier um einen Optimismus, der seine Erwartungen an bestimmte geschichtliche Voraussetzungen bindet. Es ist die wissenschaftlich begründete Auffassung Marxens, dass die Entwicklung der Bodenfruchtbarkeit im Kapitalismus durch Momente gesellschaftlicher Art (vgl. Heft IV, S. 519, Anm. 150) gehemmt ist, wie nach seiner Analyse der kapitalistischen Produktionsordnung auch auf industriellem Gebiete gesellschaftliche Gründe die Entfaltung aller materiellen Produktivkräfte, der gesellschaftlichen wie der durch diese ausgelösten natürlichen, unmöglich machen. Wenn Marx nun für die Ära des Kommunismus ein immer reicheres Strömen der Quellen des sachlichen Reichtums unterstellt – es werden dann „alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen“ (Kritik am Gothaer Programm. A. a. 0., S. 27) – so eben deshalb, weil mit der vollen Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte auch ganz neue Naturproduktivkräfte (oder alte, bereits ausgenutzte in tieferer Weise) erschlossen werden können. Damit endet, wie man sieht, das Ringen mit der Natur, „das Reich der Naturnotwendigkeit“, nicht. Im Gegenteil, es „erweitert sich mit den steigenden gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie die Produktivkräfte, die diese Bedürfnisse befriedigen’“. Auch dann bleibt der wirkliche Reichtum der Gesellschaft abhängig „von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin er (der Arbeitsprozess) sich vollzieht.“[29]

 

l. Probleme der Lage, der Wechselwirkung oder Isoliertheit verschiedener Produktionsorganismen

Nach Betrachtung der Bedeutung des Naturmoments in den drei Produktionssphären der Agrikultur, der extraktiven und der „eigentlichen Industrie“ ist nun noch auf jene Fragen einzugehen, die sich mit dem sog. „Verkehr“ verbinden und die sich im wesentlichen als Probleme der Lage, der Wechselwirkung mit oder der Getrenntheit der verschiedenen geschichtlichen Produktionsorganismen voneinander darstellen. Hier spielen nun geologische, oro-hydrographische, klimatische und andere Naturmomente[30] insofern eine grundlegende Rolle, als sie den Produktionspunkten, von denen aus sich die Fäden des Verkehrs knüpfen, ihren Standort anweisen, einen Standort, der natürlich keineswegs ein ewiger ist, sondern sich mit dem Wechsel der Produktion im eigentlichen Sinne und der Entwicklung der Transportindustrie, die wieder von der allgemeinen industriellen Entwicklung abhängig ist, aufs entscheidenste zu ändern vermag.

Wo die ältesten Zentren menschlichen Lebens entstanden, das ist geologisch-biologisch durch die Beschaffenheit von Boden, Klima, Pflanzen- und Tierwelt bestimmt. Marx nahm, auf Trémeaux gestützt, jüngere geologische Formationen als fruchtbarer und daher für das Leben von Pflanzen und Tieren günstiger an, eine Annahme, die nach Engels etwas „ungeheuer Plausibles“ hat, deren Stichhaltigkeit er jedoch in Zweifel ließ.[31] Es ist für den von Marx behaupteten prinzipiellen Zusammenhang irrelevant, ob sich seine konkrete Vermutung der Art dieses Zusammenhangs fachwissenschaftlich als richtig erwies. Es ist trotzdem immerhin nicht ohne Interesse, aus dem Munde moderner Fachgeographen zu hören, dass in der Tat umgelagerte, also jüngere Böden

„im ganzen weit besser als nicht umgelagerte Böden sind. Sie werden in der Regel in Ebenen und Tiefländern gefunden … Es ist dies einer der Gründe, warum Ebenen viel reicher sind als Bergländer).“[32]

Marx hat jedoch nie dem Glauben gehuldigt, dass die Bodenfruchtbarkeit allein ausreiche, damit eine bestimmte agrikole Entwicklung stattfinde. Er weist darauf hin, dass es darauf ankommt, in welcher Kombination, d.h. wie zu einander gelagert, der Boden und andere Agentien der Agrikultur vorhanden sind. Es ist vor allem die Lage zum agrikol nutzbaren Wasser, die vorwärts führt.[33] Und hier wiederum ist es ein weiteres „geographisches“ Moment, dessen Bedeutung Marx betont: die Dimension, in der das von Menschenhand zu zähmende Wasser auftritt. Wenn Wasserregelung auf großer „Flächenausdehnung“ geboten ist, dann entwickeln sich die großen „asiatischen“ Produktionsorganismen mit ihrer spezifischen politischen Krönung, die Marx und Engels in einem mächtigen Streifen sich quer durch den Orient erstrecken sahen,[34] und deren Ausläufer sie in der auf künstlicher Bewässerung beruhenden Landwirtschaft und Staatsform des maurischen Spaniens vermuteten.

Es ist also hier die Lage der verschiedenen natürlichen Faktoren der Agrikultur zueinander, die Marx und Engels als wesentlich für die Gestaltung bestimmter ökonomischer und politischer Lebensformen betrachteten. Mit dem Eintritt in das Zeitalter der modernen Industrie hören die Probleme der Lage innerhalb der Produktion nicht auf, zu wirken. Es schieben sich lediglich neue Inhalte in den Vordergrund. Die Lage der Rohstoffgebiete sowie der Produktions- und Marktzentren zueinander, die eine gewisse Rolle bereits in den entwickelten Ackerbaugesellschaften gespielt hatte – Bedeutung der Küstenlage von Tyrus, Karthago und Alexandria[35] –, wird jetzt immer wesentlicher. In Anbetracht der Bedeutung der mineralischen Rohstoffe ist die Abhängigkeit ihrer ökonomischen Auswertbarkeit von der Lage, in der sie sich be finden, doppelt schwerwiegend.

„Die Unfruchtbarkeit kann die günstigere Lage paralysieren, so dass solche Minen gar nicht exploitiert werden können. Andererseits kann ungünstige Lage die Fruchtbarkeit paralysieren, so dass eine solche Mine, trotz ihrer natürlichen Fruchtbarkeit, nicht exploitierbar ist.“[36]

Natürlich wirkt sich innerhalb der Welt der Rohstoffe dies Gesetz in einer nach der Werthaltigkeit der zu transportierenden Gewichtseinheit sehr verschiedenen Weise aus, daher, nach A. Smith, größere Entfernungsschwierigkeiten für Kohle, als für Metalle.[37] Die Entfernung der Produktionsstätte vom Platze des Absatzes ist, da sie die Länge der gesamten Umschlagszeit bestimmt, ökonomisch keineswegs gleich gültig.

„Verbesserung der Kommunikations- und Transportmittel kürzt die Wanderungsperiode der Waren absolut ab, hebt aber nicht die aus der Wanderung entspringende relative Differenz in der Umlaufszeit verschiedener Warenkapitale auf … Die verbesserten Segelschiffe und Dampfschiffe z. B., welche die Reise verkürzen, verkürzen sie ebensowohl für nahe gelegene wie ferne Häfen. Die relative Entfernung bleibt, obwohl oft vermindert.“[38]

Man kann die Wirksamkeit und Unausschaltbarkeit des natürlichen Faktors „Raum“ nicht schärfer betonen, als das hier durch Marx geschieht. Die Transportverhältnisse, die ihre Kraft und Eigenart aus dem Zustande der eigentlichen Produktionszentren ziehen, wirken dann aus diese wieder zurück. Zugleich mit der Konzentration des Produktionszentrums findet

„Verschiebung und Deplacement statt in Folge der mit den veränderten Kommunikationsmitteln veränderten relativen Lage von Produktions- und Marktplätzen. Ein Produktionsplatz, der durch seine Lage an Landstraße oder Kanal besonderen Positionsvorteil besaß, befindet sich jetzt an der Seite einer einzigen Zweigbahn, die nur in relativ großen Intervallen fungiert, während ein anderer Punkt, der ganz von den Hauptverkehrswegen ablag, nun am Kreuzpunkt mehrerer Bahnen liegt. Der zweite Ort kommt auf, der erste verkommt.“[39]

Was innerhalb eines einzelnen Produktionsorganismus gilt, das bleibt natürlich auch für die Einwirkung verschiedener Produktionsorganismen aufeinander gültig. Es ist vor allem durch Austausch und politisch-militärische Auseinandersetzung, dass diese Einwirkung sich vollzieht. Der Handel be ginnt nach Marx – und die moderne Ethnologie bestätigt dies durchaus[40] – an der Grenze der primitiven Produktionsorganismen.[41] Allein es hängt stets von der Beschaffenheit der in Frage stehenden gesellschaftlich-ethnischen Einheiten ab, ob und in welcher Weise die Beziehung zustande kommt.

„Die Beziehungen verschiedener Nationen untereinander hängen davon ab, wie weit jede von ihnen ihre Produktivkräfte, die Teilung der Arbeit und den inneren Verkehr entwickelt hat.“[42]

Dieser Satz, der aufs Neue das Primat der Produktion gegenüber der Zirkulation unterstreicht, gilt nicht nur für hochentwickelte moderne Nationen, sondern auch für alle vorhergehenden Stufen gesellschaftlicher Entwicklung. Der Lage im Zirkulationsprozess liegt die Lage der Produktivkräfte innerhalb der einzelnen Produktionszentren, liegt die Lage der Produktion zugrunde. Die wesentlichen Beziehungen der in einer bestimmten „Lage“ zueinander befindlichen geschichtlich-gesellschaftlichen Lebenseinheiten sind nur so wirklich zu begreifen. Es hängt von der Art und quantitativen Mächtigkeit der verschiedenen Produktionskomplexe ab, wie sich die ökonomischen und kriegerischen „Verkehr“-Verhältnisse zwischen ihnen gestalten. Die Eroberungen der Engländer (Irland), der Römer, Türken, Germanen sind keine Kraftleistungen, die aus blauer Luft erfolgten. Stets ist es die verschiedene Art oder Mächtigkeit der Produktion, auf die die Kraft der Eroberer sich stützt;[43] stets ist das Resultat eine Auseinandersetzung der verschiedenen Produktionstypen miteinander, deren Charakter wieder vom Charakter ihres beiderseitigen produktionsmäßigen Ausgangspunktes abhängt.[44] Hier ist der Ausgangspunkt für das, was Marx „abgeleitete, übertragene, nicht ursprüngliche Produktionsverhältnisse“ nennt. Um sie zu verstehen, ist das „Einspielen der internationalen Verhältnisse“ zu behandeln.[45]

In allen soeben entwickelten Gedanken ist das Moment des räumlichen Nebeneinanders enthalten; doch ist es stets ökonomisch gesehen, und zwar im marxistischen Sinne ökonomisch, von der Produktion her. Wie wesentlich die räumlichen Beziehungen der verschiedenen Produktionskomplexe zueinander für die konkrete Gestaltung der geschichtlichen Entwicklung sind, die ja nach Marx ohne Analyse auch dieser natürlichen Bedingungen gar nicht konkret analysiert werden kann, haben Marx und Engels in einer Reihe von Beispielen gezeigt. Stets spielt dabei, wie in den bereits referierten Feststellungen über die Variabilität der ökonomischen Zentren schon gezeigt wurde, die Lage eine dynamische Rolle. Die objektive räumliche Struktur der Erde bleibt zwar bestehen, ihre geschichtliche Wirksamkeit jedoch ist den größten Wandlungen unterworfen. Die Getrenntheit der Alten von der Neuen Welt ließ die Ureinwohner Amerikas der Reichtümer an Tieren und Pflanzen reproduzierbarer Art nicht teilhaftig werden, die Europa und Asien besaßen.[46] Die Lage Amerikas zum Atlantik, die also auf einer niedrigen Stufe der Produktion seiner Bewohner (sowie der Bewohner des Ostens) trennend wirkte, hat später dann eine ganz andere Funktion erhalten. Der Stille Ozean, der in der vormaschinellen Ära der Produktion Chinas „Isolation“ Vorschub leistete,[47] erfährt den gleichen Funktionswandel. Nordamerika, auf eine mächtig sich entfaltende moderne Industrie gestützt, wird jetzt zum „Schwerpunkt des Weltverkehrs, wie „im Mittelalter Italien, in der neueren Zeit England“.[48]

„Dank dem kalifornischen Golde und der unermüdlichen Energie der Yankees – schrieb Marx im Jahre 1850 (!) – werden beide Küsten des Stillen Meeres bald ebenso bevölkert, ebenso offen für den Handel, ebenso industriell sein, wie es jetzt die Küste von Boston bis New Orleans ist. Dann wird der Stille Ozean dieselbe Rolle spielen, wie jetzt das Atlantische und im Mittelalter das mittelländische Meer – die Rolle der großen Wasserstraße des Weltverkehrs…“[49]

Das Moment der Lage ist hier in seiner vollen Tragweite gesehen, aber als eine sich wandelnde Größe, deren konkrete Gestaltung von der Entfaltung der „Industrie“ an den in Frage kommenden Stellen abhängt.

Die geringer entwickelte Industrie Deutschlands, verglichen mit derjenigen Italiens, Flanderns und Englands, die weniger entwickelte deutsche Landwirtschaft, gemessen am agrikolen Niveau Englands und der Niederlande, ließ bereits im Mittelalter Deutschland ein ökonomisch uneinheitliches und nur sporadisch hochstehendes Gebiet sein, dessen durch jene Rückständigkeit voneinander getrennt gehaltene Teilgebiete sich nach ganz verschiedenen Richtungen hin orientierten.

„Der Süden hatte ganz andere Handelsverbindungen und Absatzmärkte als der Norden; der Osten und der Westen standen fast außer allem Verkehr. Keine einzige Stadt kam in den Fall, der industrielle und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes zu werden, wie London dies z.B. für England schon war…“[50]

Als dann mit der Verlegung des ökonomischen Schwergewichts an den Atlantik der „Ausschluss Deutschlands vom Welthandel“ erfolgte, wurde die mittelalterliche Zerrissenheit erst recht stabilisiert.[51]

Von Spanien wird festgestellt, dass „die günstige Form einer Halbinsel, die das Land besitzt, wie auch der stete Verkehr mit der Provence und Italien“ hervorragende Handels- und Seestädte an der Küste entstehen ließ.[52] Allein das gesellschaftliche Geheimnis Spaniens löst sich wieder einmal nicht von der Seite der Zirkulation her, sondern aus seiner Produktion. Die Verschiedenheit der spanischen Gesellschaft beruhte ursprünglich „auf der Bodengestaltung des Landes“ und entwickelte sich mit der stückweisen Losreißung aus dem alten maurischen Staatsbereich. Welche Umstände „die Quellen der nationalen Tätigkeit austrockneten“,[53] welche Umstände „den Handel, die Industrie, die Schifffahrt und die Landwirtschaft Spaniens zugrunde richteten“, davon will Marx an die ser Stelle nicht sprechen.[54] Wir wissen jedoch aus anderen Bemerkungen von Marx und Engels und aus der hier gemachten Bemerkung Marxens, die absolute Monarchie Spaniens sei eher auf eine Stufe mit asiatischen Herrschaftsformen zu stellen, als mit den anderen europäischen absoluten Staaten zu vergleichen, mit denen sie nur geringe Ähnlichkeit aufweist,[55] dass nach Auffassung der beiden Begründer des historischen Materialismus die künstliche Bewässerung jene „auf der Bodengestaltung des Landes“ beruhende Produktionsform war, auf der die „Industrieblüte von Spanien … unter arabischer Herrschaft“ stand,[56] und dass die Quellen der nationalen Tätigkeit des Landes mit der Verwüstung des „größten Teils der Berieselungswerke, auf denen der hochentwickelte Acker- und Gartenbau der Mauren beruht hatte“,[57] austrockneten.

Chinas „Isolation“ ist ebenfalls nur aus der Entwickeltheit oder Unentwickeltheit der Produktion Chinas selbst sowie derjenigen Europas und Amerikas richtig zu begreifen. Mit der industriellen Entwicklung des Abendlandes, England voran, zerbröckelt die Schranke – die übrigens in früheren Perioden keineswegs eine so absolute war, wie es in folge der Abwehrsperrmaßnahmen der Mandschus in der neueren Zeit scheinen musste –, mit weiterer Entwicklung auch Amerikas wird aus dem Gebiete der Isolation eines der Zentren der Weltgeschichte.

Was für die „Lage“ der einzelnen Produktionsorganismen zueinander ganz allgemein gilt, dass diese Lage für die konkrete Gestaltung der Geschichte ebenso wesentlich wie mit den Produktionsstufen selbst wechselnd ist, das gilt im speziellen auch für die Lage wichtiger Rohstoffquellen, sofern diese sich auf verschiedene Länder verteilen. Denken wir daran zurück, dass mit steigender Entwicklung der großen Industrie neben den Arbeitslöhnen die Rohstoffe mehr und mehr das wichtigste Moment der Produktion werden, so muss man Marx ohne weiteres beistimmen, wenn er betont, „wie wichtig für industrielle Länder der niedrige Preis des Rohstoffs ist“.[58] England war zur Zeit Marxens das führende Land der kapitalistischen Produktion; Marx hält es für einen schweren Fehler in der Auffassung Ricardos, dass dieser nicht zu erkennen vermochte, „von welcher enormen Wichtigkeit für England zum Beispiel das Beschaffen wohlfeileren Rohmaterials für die Industrie ist“.[59] Wo aber diese für die großen Industrieländer so „enorm wichtigen“ Rohstoffe liegen, das ist wiederum eine Frage der Naturverhältnisse. Es gibt eben Länder, die von Natur bevorzugt sind, die eine Art „Monopol“ besitzen, da sie „unter den günstigsten Bedingungen produzieren“.[60] Zur Zeit Marxens wurde vor allem die Zollpolitik der kapitalistischen Staaten durch Erwägungen solcher Art bestimmt.[61] In der Ära des Imperialismus streben die inzwischen entstandenen Monopolverbände der Unternehmer danach, möglichst alle Rohstoffquellen fest in ihre Hand zu bekommen. Das aber geschieht durch eine entsprechende Kolonialpolitik.

„Je entwickelter der Kapitalismus ist – schreibt Lenin –, je fühlbarer der Rohstoffmangel, je akuter die Konkurrenz und die Jagd nach den Rohstoffquellen in der ganzen Welt ist, desto verzweifelter ist der Kampf um die Gewinnung von Kolonien.“[62]

Der Wandel in der wissenschaftlichen Einsicht und in der technischen Praxis kann dabei immer neue Arten und Lagerstätten von Rohstoffen in den Vordergrund rücken und alte als überholt und unzeitgemäß beiseitedrängen, aber dieser Wandel in der konkreten Form der Durchsetzung hebt das Prinzip von der grundlegenden Wichtigkeit der Rohstoffquellen, ihrer „Lage“ und der daraus für den Kapitalismus sich ergebenden Notwendigkeit, um ihre Beherrschung zu kämpfen, nicht auf. Eben durch diesen dynamischen Charakter, der dem Rohstoff – nicht von „Natur“, sondern auf Grund der Aktivität der gesellschaftlichen Arbeit – eigen ist, gestaltet sich der Kampf um die Rohstoffquellen, die schon bekannten wie die eventuell in Zukunft erst aktuell werdenden, im Zeitalter des Imperialismus so fieberhaft, sind die Ziele der imperialistischen Politik so schrankenlose.

„Nicht allein die bereits entdeckten Rohstoffquellen sind für das Finanzkapital von Bedeutung, sondern auch eventuell noch zu erschließende, denn die Technik entwickelt sich in unseren Tagen mit rasender Geschwindigkeit, und Ländereien, die heute unbrauchbar sind, können morgen brauchbar gemacht werden, sobald neue Methoden gefunden (dazu kann die Großbank besondere Expeditionen von Ingenieuren, Agronomen usw. ausrüsten) und größere Kapitalien verwandt werden. Dasselbe lässt sich über Erschürfung von Mineralschätzen, über neue Methoden der Bearbeitung und Nutzbarmachung dieser oder jener Rohmaterialien usw. sagen.“

Daher ist auch „das Finanzkapital im allgemeinen bestrebt, möglichst viel Länder an sich zu reißen, gleichviel welche, gleichviel wo, gleichviel wie, nur auf eventuelle Rohstoffquellen ausgehend, aus Angst, in dem tollen Kampf um die letzten Brocken der unverteilten Welt oder bei der Neuverteilung der bereits verteilten Stücke zu kurz zu kommen“.[63] Auch die Exportinteressen des Kapitals zwingen nach Lenin zur Eroberung von Kolonien, doch sieht Lenin ganz offenbar nicht in der Sphäre der Zirkulation, sondern in derjenigen der Produktion – und dahin gehört die Rohstoff-Frage – den entscheidenden Stachel der imperialistischen Kolonialpolitik. Während er seinen Hinweis auf das Exportmotiv auf wenige Zeilen beschränkt, behandelt er in seinen Ausführungen über die Jagd nach den Rohstoffquellen das Rohstoffmotiv in großer Ausführlichkeit, wobei er zugleich nachdrücklich auf die Bedeutung des Naturmoments in dieser Frage (Lenin nennt es den Einfluss der „geographischen Verhältnisse“)[64] hinweist. Die phantastische Vorstellung, die durch die Herstellung des Stickstoffs aus Luft eine konkrete Unterlage gefunden hat, dass die Technik das ganze Rohstoffproblem sozusagen in Luft auflösen werde, teilte Lenin, wie man sieht, in gar keiner Weise. Den politischen Sinn eines ähnlichen ökonomisch eingekleideten Arguments, dass man nämlich die Rohstoffe auf dem freien Markte kaufen „könne“, und dass dieser Weg doch erheblich billiger und ungefährlicher sei als der Weg über die Kolonialpolitik, deckt Lenin auf, indem er feststellt, dass diese von bürgerlichen Reformpolitikern ausgehenden Abschwächungen der wirklichen Zusammenhänge sich stets sehr bald in eine Lobpreisung und Beschönigung des Imperialismus verwandeln.[65] Die „Lage“ der für die große kapitalistische Industrie notwendigen Rohstoffe (mit all ihren technisch-wissenschaftlich-gesellschaftlich bedingten Modifikationen und Möglichkeiten) wird also nach der Auffassung des genialsten Schülers und Nachfolgers von Marx und Engels der natürliche Ausgangspunkt für die Stoßrichtung, in der sich die Kolonialpolitik des modernen Imperialismus bewegt.

 

m. Das Naturmoment in der bürgerlichen und in der marxistischen Geschichtskonzeption

Unsere bisherige Darstellung versuchte den Nachweis zu führen – und wir meinen: sie hat ihn geführt –, dass der Mensch und die Natur nach Marx die beiden Gegenspieler sind, die in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion in allem Wandel der geschichtlichen Formen als die letzten und unausweichlichen Grundfaktoren des materiellen Lebensprozesses wirksam sind. Wir haben diesen Nachweis geführt, indem wir aufzeigten, sie in allen drei einfachen Momenten des Arbeitsprozesses auch nach dem Auftreten gesellschaftlich entwickelter Züge das Naturmoment fortwirkt, freilich mit einer starken Verschiebung des Schwergewichts der Naturseite innerhalb der drei Momente im Laufe der geschichtlichen Wandlungen der Produktion, aber ohne, dass irgendwie von einem „Zurückweichen“ oder gar Verschwinden des Naturmoments gesprochen werden könnte. Auch die Probleme des „Verkehrs“ – eines Verkehrs innerhalb der einzelnen Produktionsorganismen selbst oder zwischen verschiedenen Organismen, sei er nun ökonomischer oder kriegerischer Natur – fanden, wie wir an Hand der prinzipiellen Äußerungen von Marx und Engels und mittels einer Reihe von konkreten Analysen, die die beiden Denker vornahmen, zeigen konnten, theoretische Anerkennung und wurden dem Gesamtsystem der Marxschen Geschichtsauffassung eingebaut.

Wenn wir diese systematische und sorgfältige Berücksichtigung des Naturmoments durch Marx und Engels bedenken, wenn wir uns klar machen, dass sich mit dem, was Marx über die gesellschaftliche Wirkung des Naturmoments in seinen verschiedenen Schriften niedergelegt hat, ein Band füllen ließe, der dem Hauptwerk Ricardos an Umfang vermutlich nicht nachstehen würde, so erscheint angesichts dieser Tatsache der Vorwurf Grafs, Marx und viele seiner Schüler vernachlässigen „die primären naturgegebenen Tatsachen“, zunächst völlig unbegreiflich. Man mag nun im ersten Augenblick einer freilich sehr befremdlichen Unbelesenheit in den Marx-Engelsschen Schriften alle Schuld an einem derartigen Vorwurf beizumessen suchen. Allein, wenn es auch gewiss ist, dass die geopolitischen Revisionisten, wenn wir einmal Graf und seine Freunde so nennen dürfen, zu wenig Marx und allzu viel Ratzel studiert haben, so ist die Verkennung des Marxschen Standpunktes doch aus einem reinen „Zuwenig“ an Marxlektüre allein nicht wohl zu erklären. Wer Marx Vernachlässigung der primären naturbedingten Tatsachen vorwirft, der mag vielleicht Marx zu wenig gelesen haben. Sicher ist, dass er ihn falsch gelesen hat, dass er nicht begriff, wo der entscheidende Unterschied zwischen der Marxschen Konzeption und allen bürgerlichen Auffassungsweisen liegt.

Marx musste selbst gegen den tiefsten bürgerlichen Ökonomen Ricardo den Vorwurf erheben, dass auch er, wenn er die Phänomene der Produktion analysiert, in den Kategorien der Zirkulation hängen bleibt, dass er nicht wirklich zum Standpunkt des unmittelbaren Produzenten und der Produktion selbst vordringt, wodurch ihm wiederum der Zugang zum Verständnis der Gliederung des Arbeitsprozesses in seiner Grundstruktur versperrt bleibt. Da die Elemente des Arbeitsprozesses nicht richtig konzipiert sind, kann die Frage nach der Rolle des Naturmoments, an den drei Kernpunkten der Produktion ebenfalls nicht richtig gestellt, kann noch viel weniger ihr Akzentwandel im Laufe einer geschichtlichen Wandlung, die ebenfalls nicht gesehen ist, begriffen werden. Da also die bürgerliche Ökonomie, selbst dann, wenn sie die Probleme der Produktion untersucht, sie von der Seite der Zirkulation her betrachtet, müssen sich ihr natürlich auch, soweit sie nach der Rolle des Naturmoments fragt, solche Probleme in den Vordergrund drängen, die dieser Sphäre gemäß sind. Fragen des Verkehrs, der Lage, des „Raumes“ im kommerziellen und militärischen Sinne. Da ja der kapitalistische Unternehmer auch Rohstoffe kaufen muss, so wird freilich. z.T. auch die Frage der Rohstoffe erörtert, aber – da das ordnende Prinzip fehlt – in einer äußerlichen, meist mechanisch aufzählenden Weise. Über den rein raummäßigen Problemen wird z. B. bei Ratzel das Rohstoffproblem völlig vernachlässigt. Es ist bezeichnend, dass in den ausführlichen Registern seiner zwei Hauptwerke, der „Anthropogeographie“ und der „Politischen Geographie“, das Wort Rohstoffe überhaupt nicht vorkommt. Es fehlt jedoch nicht nur das Wort im Register; auch die Sache selbst tritt gegenüber den morphologischen, topographischen, verkehrsmäßigen Fragestellungen durchaus zurück.

So ist denn das, was als „Natur“ in der Analyse wesentlich ist, etwas ganz Verschiedenes, wenn man vom bürgerlichen Standpunkt der Zirkulation (und etwa noch der Kriegsgeschichte) ausgeht, oder wenn man die Gesellschaft und ihr Werden mit Marxschen Augen betrachtet. Für die Bourgeoisie und ihre theoretischen Vertreter stellt sich die Welt im wesentlichen dar als ein riesiger Markt (und zwar so, dass selbst die Phänomene der Produktion von der Marktseite her gesehen werden), und vielleicht noch als ein riesiger Schauplatz äußerer Kriege. Die Marxsche Konzeption, die alle Erscheinungen der Zirkulation und alle militärischen Bewegungen mit einschließt, erkennt jedoch die Welt im wesentlichen als einen ungeheuren Komplex von Arbeitswerkstätten, mit einer ihrer Arbeitsform entsprechenden Gliederung und – neben allen äußeren Kriegen von einer bestimmten Stufe der Entwicklung an mit einem im Innern der Gesellschaften unablässig tobenden Klassenkampf.

Erst die Marxsche Auffassung führt das gesellschaftliche Leben auf seine wirkliche Basis zurück, auf die Art seiner materiellen Produktion. Von hier aus wird eine die wesentlichen Momente begreifende Analyse der Natur, soweit sie ökonomisch geschichtlich für den Menschen bedeutsam ist, überhaupt erst möglich. Man lese die in ihrer Art ungemein respektable Schrift Ratzels „Die Erde und das Leben“, und man merkt sehr bald, dass sich diese bürgerliche Betrachtung der für das „Leben“ bedeutsamen Momente der Natur über eine rein äußerliche, rein „geographische“ Beschreibung der Natur gar nicht zu erheben vermag, aus dem sehr einfachen Grunde, weil aus der Sphäre der Zirkulation, des „Verkehrs“ und des Krieges her sich eine innere Ordnung der für das „Leben“ allgemein und die Geschichte der Menschheit speziell bedeutsamen Naturelemente gar nicht geben lässt.

Die bürgerlichen Leser der Marxschen Schriften finden in ihnen nicht genug „Natur“, weil die Natur bei Marx nicht in ihrem äußerlichen, „verkehrsmässigen“ Sinne genommen ist, sondern von dem einzig wirklich den Kern der Sache treffenden Punkte her, nämlich von ihrer Beziehung zur materiellen Produktion (diese freilich in jenem weiten Sinne genommen, dass auch das Element des Verkehrs, nämlich als eines ganz bestimmten Moments und Resultats der Produktion, darin enthalten is).[66]

So trifft also der Vorwurf des Fehlens der naturgegebenen Tatsachen nicht nur Marx nicht im allermindesten; in seiner Konzeption ist im Gegenteil das Naturmoment in einer unvergleichlich tieferen Weise verankert und eingeordnet, als das bei den größten und kühnsten bürgerlichen geographischen Materialisten der Fall sein konnte, von deren Epigonen und Abschwächern gar nicht zu reden. Es kann daher auch von keiner „Ergänzung“ des Marxismus durch den geographischen Materialismus die Rede sein (der Dampfhammer bedarf der Ergänzung durch das Steinbeil nicht). Ja, nicht einmal eine einfache Übernahme der bürgerlich orientierten Wirtschafts-, Siedelungs- und Verkehrsgeographie kann den Zwecken des Marxismus genügen. Wie unsere Darlegung erwiesen haben dürfte, bietet der Marxismus, bietet speziell die Marxsche Ökonomie ganz neue Richtlinien dafür, wie das Naturmoment, so weit es für die geschichtliche Entwicklung der Menschheit bedeutsam ist, zu betrachten und zu ordnen ist. Auch ist marxistische Geschichtsschreibung bedarf einer Ergänzung durch eine wie immer geartete bürgerliche geographische Betrachtungsweise nicht. Wenn Marx im „Kapital“ darauf hinweist, dass eine verschiedenartige Naturumgebung zu einer verschiedenartigen Produktions-, und Lebensweise führe (Bd. I, s. 316), und wenn er im gleichen Werke (Bd. III, Teil 2, S. 325) feststellt, dass die „Variationen und Abstufungen“ einer den Hauptbedingungen nach gleichen ökonomischen Ordnung nur durch Analyse der empirischen Umstände zu begreifen sein, von denen er neben von außen wirkenden geschichtlichen Einflüssen nur Naturverhältnisse nennt, objektive und subjektive, so ist den Naturmoment damit in einer tieferen Art Beachtung geschenkt, als alle „geopolitischen“ Richtlinien es vermögen. Der Ausgangspunkt ist stets von den „natürlichen Grundlagen und ihren Modifikationen im Lauf der Geschichte durch die Aktion des Menschen“ zu nehmen. An diesem Satze, der nur in einer These formuliert, was das ganze Lebenswerk Marxens an tausend Stellen in immer neuen Hinweisen ausspricht, haben wir einen Maßstab, an dem sich nachprüfen lässt, inwieweit es der bisherigen marxistischen Geschichtsschreibung gelungen ist, den Anforderungen, die Marx an alle wirklich wissenschaftliche, d.h, materialistische Geschichtsschreibung stelle, bereits gerecht zu werden.

 

n. Welches Moment bestimmt letzthin die geschichtliche Entwicklung, das natürliche oder das gesellschaftliche?

„Ausgangspunkt von der Naturbestimmtheit.“ Was bedeutet das? Handelt es sich bei dieser Richtlinie lediglich um eine Anweisung, wie die Darstellung erleichtert werden könne, oder handelt es sich um mehr, um tieferes? Wer sich auch nur einigermaßen mit den Gedankengängen Marxens und ihrer methodischen Basis vertraut gemacht hat, weiß, dass hinter diesem Hinweis auf den notwendigerweise zu wählenden Ausgangspunkt der Analyse nicht nur ein pädagogischer Ratschlag verborgen ist, sondern ein Prinzip. Es handelt sich hier um die vielleicht wichtigste Grenzfrage in System des historischen Materialismus überhaupt. Die materiellen Produktivkräfte einer bestimmten Entwicklungsstufe zusammengefasst und praktisch zum Ausdruck gebracht in einer bestimmten Produktion des materiellen Lebens, bedingen den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess.[67] Gut. Was aber bedingt die Entwicklung der Produktivkräfte selbst?

Die Produktivkräfte bergen in sich ein gesellschaftliches und ein natürliches Moment.[68] Welches dieser Momente „führt“? Oder vielleicht ist die Frage so falsch gestellt? Vielleicht führen beide Momente gemeinsam, in einer ganz bestimmten Kombination, die es zu ermitteln gilt? Der Beantwortung dieser Frage wenden wir uns jetzt im letzten Abschnitt unserer Arbeit zu.

Zumeist ist die Frage in einer weiteren und allgemeineren Form gestellt worden, so nämlich, dass dem gesellschaftlich arbeitenden Menschen die „Natur“ ganz allgemein gegenübergestellt wurde. Wenn wir unter „Natur“ jene natürlichen Bedingungen verstehen, die unter bestimmten geschichtlichen Bedingungen als Produktivkräfte, als „naturbedingte Produktivkräfte“ wirksam werden, können wir die Formel in dieser weiteren Fassung gelten lassen.

Die Annahme einer einseitigen Bestimmung der Geschichte der Menschheit durch die Natur – teils vermittelt durch den Arbeitsprozess, teils in einer kurzschlussmäßigen direkten Weise – fanden wir als These der klassischen geographischen Materialisten. Dieser Standpunkt ist später oft wieder aufgenommen worden; in der Geopolitik hat er sich in Kümmerform erhalten. Bürgerliche, von einem naiven mechanischen Materialismus geleitete Naturforscher wiederholen die These nicht ungern, Engels hat ihren Standpunkt, den er als „die naturalistische Auffassung der Geschichte“ bezeichnet, als „einseitig“ abgelehnt.[69] Die Einseitigkeit des Standpunktes – Einseitigkeit, nicht Falschheit! – besteht darin, dass die Tätigkeit des Menschen in ihm nicht zur Geltung gelangt. Es ist das Prinzip eines anschauenden Materialismus in der Art der Feuerbachschen Konzeption, der sich in dieser Auffassung ausdrückt. Die „tätige Seite“ ist unberücksichtigt geblieben.[70]

Die entgegengesetzte Einseitigkeit würde in einer eben so ausschließlichen Betonung der Bedeutung der Aktivität des Menschen bestehen. Dieser zweite Standpunkt bedeutet jedoch eine weit gefährlichere Abweichung vom Standpunkt des dialektischen Materialismus. Er vergisst das Moment der Dialektik; das tut der naturalistische Standpunkt auch. Aber er lässt zugleich das Moment des Materialismus fallen, das die Naturalisten, wenn auch in mechanischer Weise, energisch zum Ausdruck bringen. Die Einseitigkeit der zweiten Auffassung ist daher in einem noch tieferen Sinne gefährlich. Sie führt, konsequent fortentwickelt, auf den idealistischen Standpunkt von der Herrschaft des Geistes über die Natur, des Bewusstseins über das Sein zurück. Bei Kautsky ist in seiner Altersschrift dieser Schritt fast bis zum idealistischen Ende durchgeführt. Indem er den Standpunkt Hodgskins, dessen Subjektivismus Marx als falsch abweist, aufnimmt, wird ihm die Frage der Entwicklung der Produktivkräfte letzten Endes eine Frage der Entwicklung der Naturwissenschaft. „Die Entwicklungsstufen der materiellen Produktivkräfte entspringen also aus der Entwicklung des Naturerkennens und der technischen Anwendung dieses Erkennens,“[71] Indem „Kautsky in willkürlicher Weise aus den verschiedenen Momenten des Komplexes „gesellschaftlich bedingte Produktivkräfte“ eines, das Moment der Wissenschaft, herausgegriffen hat, hat er den innerhalb dieser Momente „das wahre Prius, den Ausgangspunkt“[72] bildenden sachlichen Kern, die gegenständlichen Organe des Produktionsprozesses als einen abgeleiteten Faktor hingestellt und beiseite geschoben, von der Naturseite, deren bestimmenden Einfluss Kautsky hier – an anderen Stellen macht er Zugeständnisse – völlig leugnet, da sie doch der Gesellschaft gegenüber „fast stets die selbe“ bleibe,[73] ganz zu schweigen. Die Wendung zu einer idealistischen Auffassung der Geschichtsentwicklung in dieser Formulierung des späten Kautsky ist offenkundig.

Auch die These Lukacs’, dass „in der gesellschaftlichen Beziehung der Menschen zueinander im Produktionsprozess … die grundlegende Bestimmung der Gesellschaft in ihrer Entwicklung“ zu erblicken sei,[74] wiederholt, innerhalb der Sphäre der Ökonomie, den idealistischen Gedanken von der dominierenden Bedeutung des subjektiven Elements im Geschichtsprozess. Während bei Marx stets betont wird, dass die gesellschaftlichen Lebensformen abgeleitete sind, stülpt Lukacs dieses Verhältnis um. Nicht die Produktionsweise bestimmt bei ihm – wie bei Marx[75] – die Produktionsverhältnisse, sondern umgekehrt. Sollte übrigens die Lukacssche Formel dahin ausgelegt werden, dass es die Organisation der Menschen im Arbeitsprozess sei, die das entwicklungsbestimmende Moment bilde, so wäre damit behauptet, dass eines der gesellschaftlichen Momente der Produktionsweise, nämlich die Arbeitsorganisation, das übergreifende, die Entwicklung aller übrigen Produktivkräfte bewirkende Moment sei. Es wäre das ein der Kautskyschen Auffassung analoger – auf die alte These Adam Smith’s von der entscheidenden Bedeutung der Arbeitsteilung zurückfallender – subjektivistischer Verstoß gegen die Marxsche These, von der „Bestimmung der Arbeitsorganisation durch das Produktionsmittel“.[76] So oder so, die Lukacssche Konzeption von den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen im Produktionsprozess widerspricht durchaus dem materialistischen Wirkungszusammenhang der Gesellschaft; sie widerspricht dem Buchstaben wie dem Geist der Marxschen Auffassung. Indem übrigens Lukacs die Natur lediglich als „gesellschaftliche Kategorie“[77] gelten lassen will und eine unabhängig von der Gesellschaft angenommene Natur als einen Fetisch erklärt, [78] bildet er mit ökonomischen Mitteln den Kantschen erkenntnistheoretischen Idealismus nach; der Natur-”Fetisch“, den Lukacs nicht gelten lassen will, ist in Wahrheit die objektive, vor allen gesellschaftlichen Beziehungen vorhandene materielle Außenwelt, deren „Priorität“ für Marx eine Selbstverständlichkeit war [79]  und deren Anerkennung, in Anlehnung an Marx, Engels und Lenin[80] zum Ausgangspunkt aller dialektisch materialistischen Erkenntniskritik genommen haben.

Auch im Standpunkt Gorters von entwicklungsbestimmendem Charakter der Technik geht, indem er immerhin die zentrale Bedeutung des Arbeitsmittels innerhalb des Bereiches der gesellschaftlichen Produktivkräfte fühlt – er gebt hier freilich sofort soweit, dass er Technik und Produktivkräfte für identisch erklärt – über der Betonung der technischen Aktivität des gesellschaftlich arbeitenden Menschen das Naturmoment verloren. Wenn Gorter seiner These später die Bemerkung anhängt, der Produktionsprozess sei nicht die alleinige Ursache der Entwicklung, „geographische Faktoren haben dabei eine große Bedeutung“[81] oder, so stehen für Gorter hier Natur und Arbeitsprozess einander als zwei zufällige Momente gegenüber, deren innere Zusammengehörigkeit gar nicht begriffen ist. Es ist kein Wunder, dass Gorter dann mit dem so äußerlich genommenen Naturmoment nichts anzufangen weiß, sondern, nach dem er ihm auf die eben angedeutete Manier seine Reverenz erwiesen hat, sich beruhigt wieder auf die Technik als das wesentliche treibende Moment der Entwicklung zurückzieht.

Wir beenden damit unseren kritischen Überblick über die zwei einseitigen Lösungsversuche des Problems. Beide Gruppen von Lösungsversuchen enthielten richtige Erkenntniselemente, doch ging bei den Naturalisten über ihrem mechanischen Materialismus das Moment der Tätigkeit, bei den Aktivisten über der Betonung dieser Tätigkeit der Materialismus, und auf beiden Seiten die wirklich dialektische Art der Behandlung der Frage überhaupt verloren. Welches war nun die Fragestellung und wie lautet die Antwort im Sinne der Marxschen materialistischen Dialektik selbst?

Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, erklärt Marx, aber sie machen sie nicht unter selbstgewählten, sondern unter ganz bestimmten von ihnen vorgefundenen Umständen.[82] Dies gilt nicht allein für die politische Geschichte der Menschheit, sondern auch für ihre industrielle. Der tätige Materialismus, der die Aktivität des Menschen betont, betont zugleich die objektiven Bedingungen, unter denen diese Tätigkeit allein wirksam sein kann. Es sind dies einerseits bestimmte gesellschaftliche Bedingungen, an die jene Tätigkeit geknüpft ist, gesellschaftliche Bedingungen im weiteren Sinne (Klassenordnung, Staatsform, Rechtsverhältnisse, Ideologie), und solche im engeren Sinne: jene gesellschaftlichen „Bedingungen“ der Produktion, die als die gesellschaftlichen Produktivkräfte – Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation, Arbeitsqualifikation – in den Produktionsprozess unmittelbar ein gehen. Und es sind Naturbedingungen. Die Tätigkeit des arbeitenden Menschen vollzieht sich unter bestimmten gesellschaftlichen Allgemeinbedingungen, indem sie mittels bestimmter gesellschaftlicher Produktivkräfte auf die der jeweils bestehenden Stufe der Produktion entsprechenden Elemente der Natur einwirkt. So unmöglich es nun ist, dass sich die gesellschaftliche Arbeit anders als unter den beiden genannten Arten von gesellschaftlichen Bedingungen vollziehe, ebenso unmöglich ist es auch, dass die nicht unter den objektiven Naturumständen stattfinde, ohne die kein Arbeitsprozess, keine Schaffung sachlichen Reichtums überhaupt möglich ist. Welche Seite „führt“ nun im Prozess der geschichtlichen Entwicklung, der Mensch mit seinen gesellschaftlichen Formen der Arbeit, oder die Natur, das nicht durch gesellschaftliche Arbeit geschaffene letzte sachliche Substrakt aller Arbeit?

Marx hat die Beantwortung der Frage mit dem Hinweis auf eine Bemerkung Pettys eingeleitet, der sagt, die Arbeit sei der Vater, die „Erde“ die Mutter des stofflichen Reichtums.[83] Damit ist festgestellt, dass die beiden unausschaltbaren Urbildner alles Reichtums zwei voneinander prinzipiell verschiedenartige Funktionen ausüben. Der Mensch mit seiner Arbeitstätigkeit repräsentiert das Moment der Unruhe,[84] der Bewegung. Die Natur, ursprünglich oder modifiziert, repräsentiert das Moment des objektiven Substrats, das durch seine sachliche Struktur dieser Tätigkeit einen ganz bestimmten Weg weist (oder auch nicht weist). Der Mensch, der sich in Gestalt des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses der Natur gegenüber aktiv verhält, kann doch, einen bestimmten Stand seiner gesellschaftlichen Produktivkräfte vorausgesetzt, seine Aktivität nur so gestalten, wie es die ihm zugänglichen natürlichen Arbeitsmittel und die von ihm aus der „Erde“ loszureißenden natürlichen Arbeitsgegenstände gestatten. Welche naturbedingten Momente der gesellschaftlich arbeitende Mensch jeweils „anschlägt“, das bestimmt allerdings die Gesamtheit der gesellschaftlich entwickelten Produktivkräfte (Arbeitsgeschick, die Wissenschaft und ihre technologische Anwendbarkeit, Arbeitsorganisation, Umfang und Wirksamkeit der produzierten Produktionsmittel). In welcher Richtung aber die Änderung des Arbeitsprozesses in seiner gesellschaftlichen Form vor sich gehen kann – und ob überhaupt eine solche Aderung vor sich geht –, das ist nicht der Willkür der produzierenden Menschen anheimgestellt, sondern das hängt von der Art, Reichhaltigkeit und Kombination der gesellschaftlich im Augenblick „erreichbaren“ naturbedingten Produktivkräfte ab. Es ist nur in immer tiefer gehender Anpassung an die (jeweils erschließbare) Natur in ihrer spezifischen Struktur, dass sich die Menschheit vorwärts entwickelt. Wenn also die Gesamtheit der Produktivkräfte den Charakter der Produktionsweise eines geschichtlichen Augenblicks bestimmt, so sind es die gesellschaftlichen Momente unter ihnen, die, als die aktiven bewegenden Elemente, zur Veränderung drängen, die naturbedingten aber diejenigen, die festlegen, ob eine Veränderung möglich ist und falls ja, wohin diese Veränderung führt.[85] Auch wenn der Mensch die Natur in seinen „Dienst“ zwingt, unterwirft er sich der Natur (Plechanow),[86] folgt er ihr. Dass die Änderungen, die der Mensch im Laufe der Geschichte in seiner natürlichen Umwelt dadurch hervorruft, dass er diese unablässig modifiziert, nun auf  neue auf den Menschen zurückwirken, indem sie ihn nötigen, auf die durch ihn veränderte natürliche Umwelt ebenfalls in modifizierter Weise einzuwirken, ist selbstverständlich;[87] die Grundbeziehung („Vater“ und „Mutter“, bewegende Aktivität und passive Richtungsbestimmung) wird durch derartige Modifikationen inhaltlich in sehr bemerkenswerter Weise variiert, an ihr selbst jedoch ändert sich dadurch nichts. Es spielen in die Gestaltung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses natürlich eine ganze Anzahl anderer sekundärer Faktoren hinein, die gesellschaftlichen Bedingungen des Prozesses, politische und Rechtsformen, die Fülle der „höheren Ideologien“, allesamt eventuell mit einem ungeheuren traditionellen Ballast, ferner die Einwirkungen anderer Produktionsorganismen, also das, was Marx das „Einspielen der internationalen Verhältnisse“ nennt. Alle diese Momente vermögen jedoch die Grundbeziehung der Ökonomie, die sie gewiss beeinflussen,[88] als eine in letzter Instanz sich durch jene sekundären Momente hindurch herrschend geltend machende Basis aller gesellschaftlichen Bewegungen in keiner Weise aufzuheben.

Nur wenn die „Natur der Sache“, d.h. hier: die Natur, eine Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkräfte gestattet, wird diese möglich, Hier bestimmen und „führen“ in der Tat, und zwar, wie wir zeigten, vermittelt durch die bei den Produktionssphären der Agrikultur und der extraktiven Industrie, vom Menschen nicht durch Arbeit gestaltete, „unkontrollierbare Naturverhältnisse“.[89]

„Verschiedene Gemeinwesen finden verschiedene Produktionsmittel und verschiedene Lebensmittel in ihrer Naturumgebung vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind daher (!W.) verschieden.“[90]

Aus der verschiedenen Struktur der naturbedingten Produktivkräfte also geht die verschiedenartige Entwicklung der primitiven Gemeinwesen nach Marx, der dies an einer wenig beachteten, prinzipiell hochwichtigen Stelle des I. Bandes des „Kapitals“ schreibt, hervor. In welcher Weise die sesshaft gewordenen Völker der Alten und der Neuen Welt nun ihre agrikole Kultur auszubauen vermochten, das hängt wiederum ab von der „verschiedenen Naturbegabung der beiden großen Erdkontinenten. Der östliche Kontinent besaß

„fast alle zur Zähmung tauglichen Tiere und alle kulturfähigen Getreidearten außer einer; der westliche, Amerika, von zähmbaren Säugetieren nur das Lama und auch dies nur in einen Teil des Südens, und von allen Kulturgetreiden nur eines, aber das beste: den Mais. Diese verschiedenen Naturbedingungen bewirken, dass vom nun an die Bevölkerung jeder Halbkugel ihren besonderen Gang geht…[91]

Im Osten findet dann eine Aufspaltung in eine antike und feudale Ackerbaugesellschaft und in den riesigen Streifen „asiatischer“ Produktionsorganismen statt. Während die feudale Landwirtschaft stets auf einer relativ „rohen“ Stufe stehen blieb,[92] da die einzige wesentliche Natur-“Maschine“, die sie in Anwendung brachte, die Fruchtbarkeit des Bodens war, wurde in den „asiatischen“ Gebieten in Form des Berieselungswassers eine zweite ungeheuer wirksame Naturproduktivkraft zur Steigerung der Ernteerträge in Tätigkeit gesetzt. Es war aber wiederum eine ganz bestimmte Konstellation naturgegebener Momente, die zur Entwicklung der höheren „asiatischen“ Form agrikoler Produktion vorwärtswies. Nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bodens wirkt derart, sondern es ist

„seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner natürlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturumstände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfaltigung seiner eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Notwendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontrollieren, damit hauszuhalten, sie durch Werke von Menschenhand auf großen Maßstab erst anzueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle (!W.) in der Geschichte der Industrie. So z. B. die Wasserregelung in Ägypten, Lombardei, Holland usw. Oder in Indien, Persien usw., wo die Überrieselung durch künstliche Kanäle dem Boden nicht nur das unentbehrliche Wasser, sondern mit dessen Geschlämme zugleich den Mineraldünger von den Bergen zuführt…“[93]

Dass in den „asiatischen“ Gebieten auf Grund der dort herrschenden „Klima- und Bodenverhältnisse“ die Notwendigkeit bestand, dem Boden das unentbehrliche Wasser zuzuführen, die „unbedingte Notwendigkeit einer sparsamen und ökonomischen Wasserausnutzung,[94] und dass sich dort, wo die Größenvoraussetzungen erfüllt waren (dies nicht in Japan!), ein anderer Typus Staat entwickelte, eben die asiatische Despotie, sowie allgemein ein anderer agrarischer Arbeitstyp, der der Rohheit der feudalen Agrarproduktion mit ihrer geringen Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte,[95] z.B. in den Reisgebieten Chinas, wie auch in dem ebenfalls auf Bewässerung beruhenden Japan, eine „gärtnermässig betriebene Agrikultur“ mit einer geradezu „verschwenderisch“ ausgestaltete Entwicklung eines Teils der gesellschaftlichen Produktivkräfte[96] (der Arbeitsqualifikation und Arbeitsintensität) gegenüberstellte,[97] ist ein weiterer weltgeschichtlicher Schulfall für die These von der Bedeutung des Naturmoments für die Entfaltung oder Nichtentfaltung der gesellschaftlichen Kräfte des Produktionsprozesses. Die verschiedenartige Struktur der naturbedingten Produktivkräfte, nämlich der Dimensionen, auf denen sich die Bewässerung einheitlich zusammenfasst,[98] hat dann innerhalb der Bewässerungsgebiete noch einmal eine große Gliederung sowohl der agrarischen Großarbeitsformen, wie auch der daraus erwachsenen politischen Lebensformen ins Leben gerufen:

1. den „ägyptischen“ Typus, wie wir ihn nennen wollen, zu dem außer Ägypten selbst vor allem noch das alte Babylon, und, trotz einer Reihe abschwächender Momente, die jedoch durch gegenwirkende Tendenzen kompensiert werden, auch China gehört. Übergreifende Rolle des zentralisierten Wasserbaues – in China Zentralisierung vorwiegend nur provinziell, aber dadurch „Isolation“ des Landes auf der damaligen Produktionsstufe im vereinheitlichten Kulturgebiet die militärisch feudalen Großaufgaben unwesentliche, dennoch relativ sehr „reine“ Formen asiatischer Despotie, während in dem an sich klassisch einheitlichen Ägypten das Einspielen internationaler Verhältnisse periodisch immer wieder Produktionsverhältnisse von feudaler Färbung hervorrief. Herrschende Schicht: ein literarisch gebildetes Verwaltungsbeamtentum mit z. T. mehr weltlicher, z. T. mehr religiöser Prägung (auch die chinesischen Mandarine waren übrigens die Träger der Kulthandlungen der Staatsreligion!).

2. den japanischen Typus. Keine weit „ausgereckte Raumsphäre“ des Bewässerungs- und Entwässerungsbaus, da die Stromgebiete lokal bewältigbar. Daher faktisch viele isolierte lokale Produktionszentren, militärisch überbaut; militärisch-feudale Formen in geradezu klassischer Ausbildung. Dem Literaten und Priester des ersten Typus steht der Krieger dieses Gesellschaftsbaus gegenüber – der literarische Konfuzianismus Chinas mit seiner Geringschätzung aller militärischen Tugenden (Kriegswagenfahren und Bogenschießen, diese beiden feudalen Künste, lehrte Konfuzius nicht)[99] findet in Japan seine feudale Umbildung in Form der Buschido-Ideologie).

3. den indischen Typus, in dem die durch den Wasserbau zu kontrollierenden Naturkräfte eine Mittelstellung zwischen den Dimensionen Japans und Chinas einnehmen, zerrissen sind und mit Großaufgaben des Wasserbaus zugleich doch auch beträchtliche militärisch-feudale Aufgaben stellen. Herrschende Klasse aus beiden Kasten des Priestertums und der Ritterschaft zusammengesetzt, mit wechselnder Vormachtstellung der zwei zueinander antagonistisch eingestellten Schichten. Der Mittelstellung der Struktur der Produktivkräfte also eine Mittelstellung der Arbeitsweise und der sozialen und politischen Struktur entsprechend.

Wir haben dieses Exempel eingeschoben, zu dem Marx alle methodischen Grundlagen und z. T. bereits die Skizzen einer konkreten Analyse selbst liefert – in einer größeren Arbeit werden wir das Problem ganz ausführlich, konkret und dokumentiert entwickeln –, um die Fruchtbarkeit der Marxschen Art der Betonung des Naturmoments zu zeigen, um zu zeigen, was es bedeutet, wenn Marx verlangt, die konkrete historische Analyse solle von den Naturbestimmungen ausgehen.

Auf den bisher behandelten Geschichtsstufen sind diejenigen naturbedingten Produktivkräfte richtunggebend gewesen, die der Produktion von Lebensmitteln dienen, Bodenfruchtbarkeit, Berieselungswasser usw. Sie geben, soweit die Rolle des Naturmoments in Frage kommt, in den Kulturanfängen den Ausschlag. Auf höherer Stufe der Entwicklung, d. h. im Zeitalter der Entfaltung der großen Industrie, „gibt die zweite Art des natürlichen Reichtums den Ausschlag“, das ist der

„natürliche Reichtum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle usw…. Man vergleiche z. B. England mit Indien, oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Uferländern des Schwarzen Meeres“.[100]

In der Zeit einer höheren ökonomischen Entwicklung hört also nach Marx nicht – wie das bei den geographischen Materialisten der Fall war; man nehme nur den Fall Montesquieu oder Buckle – die nachweisbare Wirkung der Naturmomente auf. Sie nimmt nur eine neue Form an. Andere Gruppen von Naturnomenten schieben sich anstatt der bisher vorwiegend wirksamen in den Vordergrund. Im asiatischen Indien wirkte die Natur vorwiegend über die Beeinflussung der Struktur und der Produktivität der Agrikultur. Im sich kapitalisierenden England beginnen die großen industriellen Rohstoffkategorien, wie Metalle und Kohle, und das so wesentliche Arbeitsmittel der Transportindustrie, die schiffbaren Wasserwege, die Naturgrundlage der jetzt einsetzenden industriellen Teilung und Ausgestaltung der Arbeit zu werden. Marx hat die Einzelheiten dieses Prozesses nicht durchanalysiert. Die soeben wiedergegebene Bemerkung jedoch sowie eine Fülle anderer Feststellungen aus seinem Munde, die sich mit der Bedeutung der Menge und Lage der großen Rohstoffquellen beschäftigen, geben uns die methodologische Richtschnur dafür, wie die konkrete, empirische Geschichtsschreibung vorzugehen hat, die natürlich ohne Klärung der gesellschaftlich geschichtlichen Voraussetzungen des Übergangs zum Industriekapitalismus keinen Schritt zur Lösung der Frage tun kann, die sich aber hier mit nicht begnügen darf, sondern die ihren Ausgangspunkt von den Naturbestimmungen und deren geschichtlichen Modifikationen nehmen muss, falls sie erklären will, warum der Übergang zum und die Entfaltung des industriellen Kapitalismus so „unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung“ gezeigt hat und noch heute zeigt. Wir haben bereits im ersten Teile dieser Arbeit darauf hingedeutet, warum vielleicht das Land der klassischen bürgerlichen Revolution, Frankreich, dennoch nicht eine derartige industrielle Entwicklung zuwege brachte, wie das auch in seiner bürgerlichen Periode noch mit feudalen Resten überzogene England. Da die gesellschaftlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktion in Frankreich sich in so ungewöhnlicher Reinheit durchgesetzt haben, müssen andere Momente negativer Art lähmend wirksam gewesen sein, vielleicht eben Naturmomente, wie ja nach Marx der Fortschritt der gesellschaftlichen Bedingungen der Produktion durch die Ungunst der Naturmomente fast ganz, ja mehr als ganz aufgewogen werden kann. „In der Geschichte Englands, sagt Plechanow, hat das geographische Milieu niemals aufgehört, seinen Einfluss, obschon in stets verschiedener Art und Weise, auf die ökonomische Entwicklung des Landes auszuüben.“ Es wirkte auf die Bevölkerung des Landes und die Gestaltung ihrer materiellen Produktion zur Zeit Cromwells in einer ganz anderen Weise als zur Zeit Cäsars. Allein es wäre nach Plechanow, der, wie uns scheint, den Marxschen Standpunkt völlig unabgeschwächt zum Ausdruck bringt, nichts irriger, als die Änderung der Form der Wirkung des Naturmoments für das Aufhören dieser Wirkung selbst zu halten.[101]

Auf die differenzierende Bedeutung der „geographischen Verhältnisse“ im Zeitalter des Imperialismus hat dann vor allem Plechanows großer Schüler Lenin den Finger gelegt. Lenin nennt unter den Ländern, die sich, eben offenbar auch infolge geographischer Verhältnisse, in der letzten Zeit viel langsamer entwickelten, an erster Stelle England. Das war 1917. Heute liegt vor uns der sog. Coal Report, der anzeigt, in wie krasser Weise sich das Nachlassen der natürlichen Rohstoffreichtümer Englands in seiner Produktion geltend macht. Ob gleich die englische Bourgeoisie alle Ursache hat, die Schuld für die Verteuerung der Produktion vor allem auf die Abnahme der Arbeitszeit, auf die Vermehrung der Arbeiterschutzbestimmungen usw. zu schieben, da sich daraus dann die Folgerung ergeht: diese profitstörenden Momente muss man reduzieren, um wieder konkurrenzfähig zu werden, können die Experten der britischen Bourgeoisie doch nicht umhin, zuzugeben, dass die physischen Schwierigkeiten im Abbau der Kohle stark zunehmen, und zwar schneller als die technische Gegenkraft. „Technischer Fortschritt und kluge Organisation“ machen tiefer liegende und dünnere Flöze heute leichter zugänglich als früher, aber „die Tatsache bleibt bestehen, dass die Schwierigkeiten wachsen. Die leicht zugängliche Kohle Großbritanniens ist längst abgebaut; die Produktion kann nur dadurch aufrechterhalten werden, dass sie sich Jahr für Jahr größeren Tiefen oder schwieriger erreichbaren Flözen zuwendet“. Dies wird nun mit Zahlen belegt, und als eine der Auswirkungen wird festgestellt, dass die Schächte tiefer, die Stollen länger und dass die Zahl der nicht vor Ort beschäftigten Bergleute auf Kosten dieser immer größer wird.[102] Wo einst 214 Bergarbeiter auf der Strecke arbeiteten, sind heute 245 Leute beschäftigt,[103] und obgleich der Bericht versucht, dafür die bereits genannten gesellschaftlichen Ursachen ins Feld zu führen (um dann fordern zu können, dass man Leute abbaue!), muss er doch zugeben, dass die vermehrte Zahl der Arbeiter dieser Kategorie mit einer gewissen „Wahrscheinlichkeit“ doch ein „Reflex der zunehmenden physikalischen Schwierigkeiten, mit denen der englische Bergbau heute und in Zukunft zu rechnen haben wird, sei.[104] Nur Anspannung aller gesellschaftlichen Elemente des Produktionsprozesses, wobei außer der technischen Rationalisierung dann vor allem auch die Senkung der Löhne und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen genannt werden, sei imstande, „die unvermeidliche Verschlechterung der physikalischen Bedingungen des Bergbaus in einem Lande, dessen leicht zugängliche Quellen längst ausgebeutet sind, zu kompensieren“.[105] Es wäre ebenso töricht, etwa weil diese Tatsache auch gegen die Bergarbeiter ausgespielt werden kann, den Sachverhalt zu leugnen, wie es politisch falsch wäre, aus ihm die Folgerung zu ziehen, die Arbeiter Englands müssten sich daraufhin der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch die Unternehmer fügen. Was hat Marx prinzipiell in diesem Falle geantwortet? Nachdem er, bereits 1850, gesagt hat, dass „die Nachteile der geographischen Lage“ Europas gegenüber Amerika die Industrie und den Handel der alten Welt mit Verfall bedrohen – Marx denkt also nicht daran, den Wechsel in der Gunst der Naturumstände zu leugnen, ganz im Gegenteil –, erklärt er, „die einzige Chance“ für die modernen europäischen Länder liege

„in einer gesellschaftlichen Revolution, die, so lange es noch Zeit ist, die Produktions- und Verkehrsweise nach den aus den modernen Produktivkräften hervorgehenden Bedürfnissen der Produktion selbst umwälzt und dadurch die Erzeugung neuer Produktivkräfte möglich macht, welche die Superiorität der europäischen Industrie sichern und so die Nachteile der geographischen Lage ausgleichen.“[106]

Diese Formel, die zuerst in materialistischer Weise die Tatsachen, in ihrer vollen widerspruchsvollen Härte anerkennt. und die dann eine revolutionäre, vorwärtsführende Lösung der aus ihnen hervorgehenden Schwierigkeiten gibt, sie führt uns zugleich, nachdem von der Rolle des Naturmoments auf allen Hauptstufen der bisherigen Geschichte ausführlich die Rede gewesen ist, zur Frage, welches denn im Sozialismus die Rolle des Naturmoments sein werde. Dass auch dann der materielle Reichtum der Gesellschaft von den „mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen“ abhängig sein wird, haben wir, Marx folgend, bereits gesagt. Aber ist dies eine rein „historische“ Frage? Lässt sich darüber prinzipiell nichts sagen? Doch. Der Durchbruch zum Sozialismus bedeutet, sobald die Organisation des sozialistischen Aufbaus beginnt, zu nächst einmal eine ungeheure Entfesselung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, angefangen mit der Art der Entfaltung der subjektiven Bedingungen des Arbeitsprozesses, der unter dem Kapitalismus mit Notwendigkeit verkrüppelten entscheidend wichtigen Produktivkraft Arbeitskraft, endend mit der Überwindung der chaotisch anarchisch verschwenderischen Organisation der Produktion und der Gestaltung der sachlichen Arbeitsmittel selbst. Dieser aus der im Kapitalismus eingeleiteten Entwicklung der materiellen Produktivkräfte mit Zwangsgewalt hervorwachsende Umschwung in der gesellschaftlichen Seite der Produktion bedeutet aber nun zugleich auch eine grundsätzlich veränderte Stellung gegenüber den natürlichen Bedingungen der Arbeit. Können die bisher entwickelten gesellschaftlichen und natürlichen Produktivkräfte nur weiterentwickelt werden, in dem die alten gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses gesprengt und auf Grund ihrer zunächst neue gesellschaftliche Produktivkräfte eingesetzt werden, so bedeutet das nun zugleich in dialektischen Wechselspiel, dass diese neuen gesellschaftlichen Produktivkräfte imstande sind, bisher anausbeutbar gewesene Seiten der Natur anzuschlagen, ganz neue naturbedingte Produktivkräfte oder bereits ausgebeutete in neuer Weise in den Dienst der gesellschaftlichen Produktion zu stellen. Die vorsichtigen, das Nachlassen der Naturmomente unter dem Kapitalismus als eine jedenfalls sehr bedeutsame Tendenz immer wieder betonenden Äußerungen Marxens müssen daher, nicht aus moralischen, propagandistischen Gründen, sondern aus Gründen wissenschaftlicher Einsicht in den realen Geschichtsmechanismus, zu einer durchaus optimistischen Beurteilung der Gestaltung der Produktivkräfte im Rahmen einer kommunistischen Wirtschaftsordnung gelangen. Die Eroberung der „Gesellschaft“ in dem Sinne, dass nun zum ersten Male der gesellschaftliche Lebensprozess bewusst rationell gestaltet wird, verbindet sich also mit einer „Eroberung der Natur“ in einem Umfange, wie ihn die kühnsten Träume der Dichter unserer Epoche nicht auszumalen vermögen.

Allein keine derartige „Eroberung“ kann das Grundverhältnis selbst aufheben. Wir werden niemals „die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht“ (Engels). Es wäre dies ein Rückfall in einen christlich idealistischen Dualismus, zu dem die einseitig aktivistische Auffassung leicht zu gelangen vermag, der jedoch mit dem Marxschen Materialismus nichts zu tun hat. „Der Mensch unterwirft sich immer der Natur, auch wenn er sie in seinen Dienst: zwingt“, erklärt Plechanow, dem unsere Darstellung im wesentlichen folgt, indem sie zugleich seinen Standpunkt, der über das Aussprechen des Prinzipiellen nicht hinausgeht, in seinen Einzelheiten und Konsequenzen zu entfalten sucht.[107] „Indem der Mensch sich der Natur unterwirft, vergrößert er eben damit seine Macht über sie, d. h. seine Freiheit.“[108] Dieses Gesetz wird im Sozialismus nicht aufgehoben; es äußert sich hier nur in der der Natur des Menschen adäquatesten Weise:

Wie der Wilde mit der Natur ringen muss – sagt Marx anlässlich seiner berühmten Ausführungen über das Reich der Freiheit – um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich die Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm wie von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.[109]

Wir sind damit am Ende unserer Untersuchung angelangt. Was wir zu geben suchten, war die Herausarbeitung der Rolle, die das Naturmoment im System des historischen Materialismus spielt, wobei es unser Bestreben war, gegenüber allen Interpretationen, die einen „naturalistisch“ passiven oder die einen einseitig aktivistischen Standpunkt einnehmen, die wirkliche dialektisch materialistische Auffassung von Marx und Engels selbst zu entwickeln. Diese Auffassung der beiden Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus ist von ihnen in Zusammenhang nicht dargestellt worden, allein die sehr große Zahl prinzipieller Bemerkungen und konkreter Analysen bilden zusammen mit den grundlegenden dialektisch materialistischen Anschauungen von Marx und Engels ein derart eindeutiges und in sich konsequentes Ganze, dass, sobald nur einmal das Lebenswerk von Marx und Engels durchgehend auf diese Frage hin durchforscht war, die Synthese sich sozusagen von selbst ergab. Wenn Marx und Engels in ihrer Feuerbachkritik forderten, es sei bei jeder Geschichtsschreibung von den Naturbestimmungen auszugehen, wenn Marx diese Forderung, jetzt bezogen auf die Analyse der Ökonomie, in seiner „Einleitung zu einer Kritik der politischen Ökonomie“ wiederholt, wenn er im I. Bande des „Kapitals“ die vorwärts „drängende“ Rolle der in einer bestimmten Weise kombinierten Naturumstände betont und in III. Bande des gleichen Werkes feststellt, dass die Variationen und Abstufungen einer den Hauptbedingungen nach gleichen ökonomischen Ordnung neben einer Analyse der von außen wirkenden geschichtlichen Umstände zunächst die Ermittlung der objektiven und subjektiven Naturumstände erfordere, dann scheint uns die These Plechanows, dass erst die Kombination der Untersuchung der jeweiligen natürlichen mit denjenigen der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen „die innersten Geheimnisse der Geschichte“ enthüllte, die einzige wirklich legitime Wiedergabe des Buchstabens und des Sinnes der Marxschen Geschichtskonzeption zu sein.

Die Fruchtbarkeit einer Analyse, die wirklich von den Produktivkräften her ihre Ableitungen entwickelt, muss sich in dreifacher Beziehung bewähren. Der Gewinn für die marxistische Geschichtsschreibung liegt auf der Hand. Auf die Bedeutung des Naturmoments für die Analyse der ungleichmäßigen Entwicklung der imperialistischen Staaten sowie für die Stoßrichtung der imperialistischen Kolonialpolitik hat Lenin mit Nachdruck hingewiesen. Dass schließlich auch für die Probleme des Aufbaus des Sozialismus die richtige theoretische und praktische Einschätzung der naturbedingten Faktoren von höchster Dringlichkeit ist, braucht nicht begründet zu werden.

Wenn die verschiedenartige Funktion der gesellschaftlichen und der natürlichen Bedingungen des materiellen Lebensprozesses marxistisch klar erkannt ist, dann wird damit der gesellschaftlichen Arbeit als der aktiven Seite des Prozesses die allerhöchste Wichtigkeit beigemessen. Ohne sie gäbe es keine Bewegung, keine „Unruhe“ in der Geschichte der Menschheit. Allein vergessen wir nicht (indem wir den von Marx gerügten Fehler der anschauenden Materialisten, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, wiederholen), dass alle menschlich gesellschaftliche Tätigkeit an ein bestimmtes materielles Substrat, letzthin an die „Natur“ gebunden ist, deren Eigenart bestimmend dafür ist, in welche Richtung die menschliche Arbeitstätigkeit führt, ob die Gesellschaft sich auf der Stelle bewegt, ob abwärts oder ob aufwärts, d. h. ob zu niedrigeren oder zu höheren Formen der Produktivität der menschlichen Arbeit. Tätiger Materialismus, ja. Aber auch: tätiger Materialismus! So und nicht anders muss vom dialektisch materialistischen Standpunkt aus die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Natur beantwortet werden.[110]

 

[1] Unter dem Banner des Marxismus (Berlin), Oktober 1929 (Vol. 3. Nr. 5), 598–735. – der Hrsg.

[2] Schluss des Beitrags, dessen erste Teile in den Heften Nr. 1 und 4, Jahrg. III, unserer Zeitschrift erschienen sind.

[3] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, 2. Teil, S. 183. Vgl. auch Bd. I, S. 297.

[4] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 567. Hier werden die extraktive Industrie und die Agrikultur als zwei korrespondierende Produktionssphären behandelt. Diese beiden Produktionssphären bilden zusammen die „Produktionsphase“ der „Urproduktion“, der alle anderen Phasen gegenüberstehen. („Theorien“, Bd. I, S. 215.)

[5] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert, Bd. I, S. 427.

[6] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, 2. Teil, S. 215.

[7] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. II, 2. Teil, S. 290 u. 226. sowie 230 ff. Hervorhebungen von uns.

[8] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, 1. Teil, S. 57.

[9] Ebenda, S. 85.

[10] Ebenda, Bd. II, S. 328 ff.

[11] K. Marx, „Theorien, über den Mehrwert“, Bd. II, 2. Teil, s. 218 ff. Es ist hier ausführlich der umgekehrte Fall dargestellt. Aber das Prinzip gilt für den negativen wie für den positiven Fall, wie Marx auf S. 222 ausdrücklich vermerkt.

[12] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. II, 2. Teil, s. 218 u. 219.

[13] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 568.

[14] Ebenda, Bd. II, S. 329, Bd. I, S. 568, „Theorien“, Bd. II, 2. Teil, S. 342.

[15] „Das Kapital“, Bd. III, 1, Teil, S. 85. 15.

[16] Ebenda, S. 84 ff.

[17] „Theorien“, Bd, III, S. 431.

[18] G. Lukacs, „Geschichte und Klassenbewusstsein“, Berlin 1923. S. 239 ff. Wenn Lukacs sich hier auf eine Bemerkung Marxens beruft, nach der in allen vom Grundeigentum beherrschten Gesellschaften die Naturbeziehung vorherrsche, in den kapitalistischen Gesellschaften dagegen „das gesellschaftliche, historisch geschaffene Element“ („Einleitung zu einer Kritik der politischen Ökonomie“, S. XLIV), so verkennt er, was Marx in diesem Zusammenhang mit seiner Bemerkung sagen will. Es handelt sich diesem darum, welche Produktionsform alle übrigen beherrscht, sie färbt, beleuchtet und modifiziert. Das tut in den Agrargesellschaften die „an die Erde gebundene“ Agrikultur, im Kapitalismus das Kapital, das auch der Agrikultur seinen Charakter aufprägt. „Das Kapital ist die alles beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft.“ (Ebenda.) Dass die Produktivität der Arbeit nicht nur in der Agrikultur, sondern auch in der extraktiven Industrie durch „unkontrollierbare Naturverhältnisse“ mitbedingt ist, und zwar auch in der Epoche kapitalistischer Produktion, das hat Marx in der „Kritik“ selbst sehr energisch betont. (S. 14 ff.) Dass durch die Entwicklung kapitalistischer, ja sozialistischer Produktionsformen das Grundverhältnis Mensch-Natur zwar modifiziert, aber nicht aufgehoben wird, wie es nach den Formulierungen Lukacs’ erscheinen muss, ist eine elementare These der Marxschen Gesamtkonzeption.

[19] Das Zurückweichen der Naturschranke bedeutet bei Marx lediglich die Verminderung der notwendigen Arbeitszeit. („Das Kapital“, Bd. I, S. 478 ff.) Die durch die Lukacsschen Formulierungen erweckte Vorstellung, als komme der Mensch dahin, die Natur zu beherrschen, „wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht“ (Engels, „Der Anteil der Arbeit“, S. 68) ist zwar eine notwendige Konsequenz der Lukacsschen aktivistischen Gesamtkonzeption, doch ist sie weder dialektisch noch materialistisch und hat, wie, wir noch zeigen werden, mit der Marxschen Auffassung des Verhältnisses der natürlichen und gesellschaftlichen Momente im Geschichtsprozess nichts zu tun.

[20] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. III, S. 430.

[21] F. Engels, „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, 10. Aufl., Stuttgart 1919, S. 183.

[22] W.I. Lenin, „Die Agrarfrage und die Marx-Kritiker“, Sämtliche Werke, Bd. IV, erster Halbband, Wien-Berlin 1928, S. 256.

[23] „Das Kapital“, Bd. III, Teil 1, S. 95. ff.

[24] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil 1, S. 242.

[25] Ebenda, Bd. III, Teil 2, S. 300. Hervorhebungen in beiden Zitaten von uns.

[26] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. III, S. 431.

[27] Ebenda, Bd. II, Teil 2, S. 54.

[28] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 314.

[29] Ebenda, S. 355.

[30] „Marx und Engels über Feuerbach“, S. 237. Auf S. 245 findet sich noch einmal, von Marx am Rande des Manuskripts vermerkt, hinter dem Satz, dass die Menschen imstande sein müssen zu leben, um „Geschichte machen“ zu können, der Hinweis: „Geologische, hydrogeographische etc. Verhältnisse des menschlichen Lebens.“

[31] Marx-Engels, „Briefwechsel“, Bd. III, S. 350 ff.

[32] E. Huntington and S.W. Cushing, „Principles of Human Geography“, New York-London 1924, S. 157.

[33] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 477 ff.

[34] „Karl Marx über Indien und China“, „Unter dem Banner des Marxismus“. Jahrg. 1, Heft 2, S. 286. (Marx hat dem von Engels zuerst formulierten Gedanken von der Bedeutung der künstlichen Bewässerung diesen quantitativ räumlichen Gesichtspunkt eingefügt.)

[35] „Aus dem literarischen Nachlass von K. Marx und F. Engels“, 2. Aufl., Stuttgart 1920, Bd. III, S. 443.

[36] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. II, Teil 2, S. 151.

[37] Ebenda, S. 153.

[38] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. II, S. 221.

[39] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. II, S. 223.

[40] M. Schmidt, „Grundriss der ethnologischen Volkswirtschaftslehre“, Bd. II, Stuttgart 1921, S. 140 ff.

[41] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 54.

[42] „Marx und Engels über Feuerbach“, a. a. 0., S. 303.

[43] Ebenda, s. 292; „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, S. XXXI; „Das Kapital“, Bd. I, S. 48. Angesichts der hier gegebenen sehr unmissverständlichen Darlegungen über Wesen und Grundlage der Eroberungen ist es nicht recht verständlich, wie von gegnerischer Seite neuerdings, in Nachfolge Dührings, von F. Oppenheimer gegen Marx der Vorwurf erhoben wird, er habe diese Zusammenhänge nicht berücksichtigt. („System der Soziologie“, Bd. I, 2. Halbband, Jena 1923, S. 990.)

[44] K. Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, S. XXXI ff.; vgl. ferner „Das Kapital“, Bd. II, S. 12.

[45] K. Marx, „Kritik der politischen Ökonomie“, S. XLVII. Wenn dies Prinzip schon für größere Produktionskomplexe gilt, so noch weit mehr natürlich für eingesprengte Teile größerer wirtschaftlicher und politischer Gebiete. „Es wird schwerlich gelingen, die Existenz jedes deutschen Kleinstaates der Vergangenheit und Gegenwart … ökonomisch zu erklären, ohne sich lächerlich zu machen.“ (Brief F. Engels’ vom 21. September 1890. Abgedruckt im „Sozialistischen Akademiker”, 1895, S. 351.)

[46] F. Engels, „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“, 15. Aufl., Stuttgart 1918, S. 4.

[47] „Karl Marx über Indien und China”“ a.a.0., S. 380.

[48] „Aus dem literarischen Nachlass von K. Marx und F. Engels“, Bd. III, S. 443 ff.

[49] Ebenda, S. 443. Auch das Kommen des Panamakanals sah Marx damals – 1850 – bereits voraus (S. 443).

[50] F. Engels, „Der deutsche Bauernkrieg“, herausgeg. von H. Duncker, Berlin 1925, „Elementarbücher des Kommunismus“, Bd. 8, S. 19 ff.

[51] Ebenda. s. 20. Eine weitere sehr ausführliche „Lage“-Analyse in Bezug auf den vorderen Orient hat Engels in mehreren Artikeln über „Die orientalische Frage“ gegeben, („Gesammelte Schriften von K. Marx und F. Engels, 1852 bis 1862“, hsg. von N. Rjasanoff, 2. Aufl., Stuttgart 1920, Bd, I, S. 146 ff., 155 ff., 169 u. 173.)

[52] „Gesammelte Schriften von K. Marx und F. Engels, 1852-1862“, Bd. II, S. 413 ff.

[53] Ebenda, S. 417.

[54] Ebenda, S. 416.

[55] „Gesammelte Schriften von K. Marx und F. Engels, 1852-1862“, Bd. II, S. 417. Diese Bemerkung Marxens ist übrigens ein neuer Beweis dafür, dass er im „asiatischen“ Despotismus etwas sah, was mit dem spätfeudalen Absolutismus Europas sehr wenig Ähnlichkeit hat.

[56] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 478.

[57] F. Engels, „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, S. 192.

[58] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil 1, S. 82.

[59] K. Marx, „Theorien über den Mehrwert“, Bd. II, Teil 1, S. 166.

[60] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil I., S. 96.

[61] K. Marx, Ebenda, S. 83.

[62] N. Lenin, „Der Imperialismus als jüngste Etappe des Kapitalismus“, Marxistische Bibliothek, Bd. I, Wien–Berlin  1926, S. 74.

[63] Ebenda, S. 75 ff.

[64] Ebenda, S. 73. Lenin führt es nicht näher aus, aber man erkennt aus seinen kurzen Bemerkungen, dass er der Meinung war, dass bei der verschieden schnellen Entwicklung von Amerika, Deutschland und Japan einerseits und England und Frankreich andererseits neben den ökonomischen Bedingungen im engeren Sinne gerade auch die „geographischen Verhältnisse“ bestimmend mitgewirkt haben. Als Sammelausdruck für alle im gegebenen Augenblick wirksamen Naturmomente wird, wie hier von Lenin, auch von Marx und Engels die Bezeichnung „Geographie“, „geographische Verhältnisse“ usw. gebraucht. Vgl. z.B. weiter unten Anm. 105, wo wir eine Bemerkung Marxens über die Bedeutung der „geographischen Lage“ Europas und Amerikas wiedergegeben haben. Durchgehend wird das Wort Geographie als Sammelbegriff für die Totalität der in einem bestimmten Moment der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aktuellen Naturmomente bei Plechanow gebraucht. Er wie Lenin verwenden diesen Ausdruck, im Gegensatz etwa zu bürgerlichen Wissenschaftlern wie Ratzel, stets im Sinne der Marxschen „Naturverhältnisse“, in jenem Sinne, in dem Engels von der „geographischen Grundlage“ sagte, sie sei „einbegriffen unter die ökonomischen Verhältnisse“ (Brief vom Jahre 1894 in „Der sozialistische Akademiker“, 1895, S. 373).

[65] Ebenda, S. 75.

[66] Die Behandlung handels- und militärgeographischer Fragen, die Marx eben als Fragen abgeleiteter Ordnung aufdeckt, überließ er gern seinem Freunde Engels. Als Marx über die orientalische Frage schreiben sollte, über Probleme, in denen die „kommerzielle und militärische Wichtigkeit“ bestimmter Gebiete zu erörtern ist, bat er Engels, das für ihr zu tun. „Diese Question ist vor allem militärisch und geographisch, also nicht von meinem Departement.“ (Briefwechsel Bd. I, S. 395.) An allen Naturfragen, soweit sie ins Bereich der zentralen Sphäre der Ökonomie gehörten – übrigens keineswegs nur an ihnen! – war Marxens Interesse stets ein leidenschaftlich großes, wie aus seinen Einfügungen zur Feuerbachkritik und aus all seinen späteren Arbeiten klar ersichtlich ist. Während Engels erst 1853 sich gründlicher mit naturwissenschaftlichen Studien zu befassen begann, war es – durchaus im Gegensatz also zur landläufigen Legende, wie sie auch Graf übernommen hat – gerade Marx, der von früh an eifrig naturwissenschaftlichen Fragen nachging. Der gleiche Marx, der nach Graf ein so geringes Interesse für die „primären naturgegebenen Tatsachen“ besaß, interessierte sich, vielleicht angeregt durch seinen Gymnasiallehrer Steininger, dermaßen für geographische und geologische Probleme, dass er als Student an der Universität Berlin die Vorlesungen zweier Geographen hörte, diejenigen Ritters und Steffens. (Vgl. D. Rjazanov, Einleitung zur Naturdialektik von F. Engels, a.a.O., s. 11ï ff.). Man erkennt aus den Schriften Marxens – sowie aus seiner Haltung in der Trémeaux-Debatte –, wie sehr ihn geologische Fragen sein ganzes Leben lang beschäftigt haben, Rjazanov erklärt auf Grund der Kenntnis auch der noch ungedruckten Arbeiten von Marx: „Besonderes Interesse zeigte er für Geologie und Paläontologie“ (a.a.O., S. 117). Noch als reifer Mann nahm Marx an naturwissenschaftlichen Kursen und Vorlesungen teil. Im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über die ökonomische Rolle der Maschinen studierte er Mechanik und Mathematik. Als er sich der Vorbereitung seiner Grundrentenabschnitte zuwandte, studierte er Agronomie und landwirtschaftliche Chemie (s. 125). Man mag Marxens Interesse für Darwin zum Teil aus allgemeineren Motiven erklären, die soeben genannten Studien gelten zweifellos vor allem denjenigen Naturphänomenen, die zugleich als Naturmomente des materiellen Produktionsprozesses von Bedeutung sind.

[67] K. Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, S. LV.

[68] Dass es neben den gesellschaftlichen auch natürliche Produktivkräfte gibt, ist in der Darstellung des historischen Materialismus häufig übersehen worden, Unsere gesamte bisherige Untersuchung hat v. a. dem Zwecke gedient, diesen so oft übersehenen Gedanken, der für das Verständnis des historischen Materialismus von grundlegender Wichtigkeit ist, klar herauszuarbeiten. Wir weisen noch einmal auf einige Kernformulierungen Marxens über diesen Gegenstand hin. Die Formel „naturbedingte Produktivkräfte“ findet sich im „Kapital“, Bd. I. S. 480; ihr Gegenstück bilden die „geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen Produktivkräfte“. Die gleiche Gegenüberstellung von „gesellschaftlichen“ und „natürlichen Produktivkräften“ in: „Theorien“, Bd. III, S. 133, Anm. Naturkräfte als „Produktionskraft“: „Theorien“, Bd. II, Teil 2, S. 16, als eines mitarbeitenden Elements; Ebenda, Bd. I, S. 40. Als natürliche „Produktionsagenten“”: „Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 183, 214, 351. Von „Gratisnaturproduktivkräften“ wird gesprochen: „Das Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 278. Einer der sehr wenigen Marxisten, der die Bedeutung der Marxschen Formel erkannt und sie in seine Analyse aufgenommen bat, ist Lenin, der in seiner Schrift über „Die Agrarfrage“ auf die „Produktivkräfte“ des Bodens hinweist, und der sich ausdrücklich auf Marxens Fixierung der natürlichen Agentien als einer „Gratisproduktivkraft der Arbeit“ stützt. („Die Agrarfrage und die »Marx-Kritiker«“, Sämtliche Werke. Bd. IV. Erster Halbband, S. 229 ff. Vgl. auch S. 299.).

[69] „Dialektik und Natur“, Marx-Engels-Archiv, Bd. II, S. 165.

[70] „Thesen über Feuerbach“, These l.

[71] K. Kautsky, „Die materialistische Geschichtsauffassung“, Bd. I, S. 810. Sperrung von urs,

[72] K. Marx, „Theorien“, Bd. III, s. 353. 72.

[73] Kautsky, a.a.0., S. 810.

[74] G. Lukacs, Rezension von N. Bucharins „Theorie des historischen Materialismus“. Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, herausgegeben von K. Grünberg, Jahrg. XI, 1923, S. 219.

[75] Schon im „Elend der Philosophie“ spricht Marx die These klar aus. Aus den Produktivkräften und der Produktions weise gehen „die Beziehungen von Mensch zu Mensch“ hervor,

jenes sind die „Existenzbedingungen“ dieser Beziehungen (S. 97). Vgl. auch ebenda, S. 91. Ferner: „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, S. LV, „Das Kapital“, Bd. I, S. 48, Anm.

[76] Vgl. den Brief Marxens an Engels vom 7. Juli 1866, also unmittelbar vor Abschluss des 1. Bandes des „Kapitals“, wo Marx schreibt: „Unsere Theorie von der Bestimmung der Arbeitsorganisation durch das Produktionsmittel, bewährt sie sich irgendwo glänzender als in der Menschenabschlachtungsindustrie?“ („Briefwechsel“, Bd. III, S. 331.) Siehe ferner: „Das Elend der Philosophie“, S. 124 ff. Der einzige Fall, wo die Änderung der Produktionsweise durch die Neuorganisation der Arbeitskraft bewirkt wurde, die Manufaktur („Das Kapital“, Bd. I, S. 334) beweist lediglich, dass die auf Grund der handwerklichen Arbeitsmittel möglichen organisatorischen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft waren, dass diese ihre volle Ausschöpfung auf dem Wege der manufakturmäßigen Kooperation erst mit einer bestimmten Höhe der Entwicklung der Produktivität der Arbeit möglich wurde. Und selbst hier hat – wie betont werden muss – der Prozess nicht von der Seite der Arbeitsorganisation begonnen, sondern von den sachlichen Bedingungen der Arbeit aus. „Die Entwicklung der Arbeitsteilung setzt die Vereinigung der Arbeiter in einer Werkstatt vor aus.“ („Das Elend der Philosophie“, S. 122.) Ganz empirisch wandelt sich dann die Form der Arbeitsteilung. „Ändert sich diese Form, so außer in Nebendingen immer nur in Folge einer Revolution der Arbeitsinstrumente.“ („Das Kapital“, Bd. I, S. 329.) Sehr wenig höflich erklärt demgemäß Marx einen Proudhon, der „im Sinne von Adam Smith“ die Arbeitsteilung als das Primäre ansah, als einen Menschen, „der die Dinge auf dem Kopf stehend sieht, wenn er sie überhaupt sieht…“ (in „Elend“, S. 123.) Indem Lukacs („Archiv“, S. 221) auf die Manufaktur hinweist, legt er selbst seine These im Sinne der führenden Bedeutung der Arbeitsteilung aus; indem er in der gleichen Rezension aber auf allgemeine gesellschaftliche Zustände – Sklaverei – als das die Technik bestimmende Moment hinweist (S. 220) – zeigt er, dass er die gesellschaftlichen Beziehungen in einem doppelten Sinne aufzufassen bereit ist, sofern er damit auf seine Behauptung dieser Beziehungen als des bestimmenden, nicht des abgeleiteten Faktors glaubt stützen zu können. Lukacs beharrt eben darauf, die Dinge unter allen Umstanden auf dem Kopfe stehend zu sehen.

[77] „Archiv“, S. 219.

[78] „Archiv“, S. 219.

[79] „Marx-Engels-Archiv“, Bd. I, S. 243.

[80] W. I. Lenin, „Materialismus und Empiriokritizismus“, „Sämtliche Werke“, Bd. XIII, Wien-Berlin 1927, S. 59, 88 und oft sonst.

[81] Gorter, „Der historische Materialismus“, S. 39.

[82] K. Marx, „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“, Marxistische Bibliothek, Bd. 7, Wien-Berlin 1927, S. 21.

[83] Karl Marx, „Das Kapital”, Bd. I, S. 10.

[84] Ebenda, S. 143.

[85] Marx spricht geradezu von einer „Naturbasis des Mehrwerts“ („Das Kapital, Bd. I, S. 475), allein dieser Aus druck ist sehr genau auf seine Tragweite zu prüfen. Die Natur allein liefert immer nur die Möglichkeit irgendeiner bestimmten Ergiebigkeit der Arbeit, nie die Wirklichkeit. „Die Fruchtbarkeit der Natur bildet hier eine Grenze, einen Ausgangspunkt, eine Basis.“ Ohne sie geht es nicht. Aber sie allein genügt ebensowenig. „Andererseits bildet die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft ihrer Arbeit die andere“ („Das Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 174 ff. Hervorhebungen von uns). Auch die Arbeit allein vermag nichts. Sie besitzt keine „übernatürliche Schöpfungskraft“ („Kritik am Gothaer Programm“, a. a. O., S. 19); alle mystischen Vorstellungen von einer der menschlichen Arbeit eingeborenen okkulten Qualität, ein Surplusprodukt zu liefern, sind unsinnig („Das Kapital“, Bd. I, S. 479), ersetzen nur den Fehler der Physiokraten durch den entgegengesetzten Fehler. Erst die Vereinigung der beiden Momente macht den Arbeitsprozess zur Wirklichkeit, doch ist dieser auch noch nicht ohne weiteres so beschaffen, dass nun ein Mehrprodukt hervorgebracht wird. Wieder ist dafür die Naturbasis notwendig, wieder ist sie allein unzureichend. Die „Gunst der Natur“ kann dazu führen. dass der unmittelbare Produzent sehr wenig arbeitet, da die notwendige Arbeitszeit gering ist. In diesem Falle gibt die Gunst der Natur den Produzenten „viel Muße“. Es bedarf erst „einer ganzen Reihe geschichtlicher Umstände“, die selbst das Produkt einer sehr langen Geschichtsentwicklung sind, bis der Produzent entweder für sich selbst, oder, in der Klassengesellschaft, unter „äußerem Zwang“, für andere, durch Mehrarbeit ein Mehrprodukt erzeugt (a.a.O., S. 479). Von den beiden Bedingungen jeder Arbeit und speziell jeder Mehrarbeit hat das Naturmoment jene passive Note der Ruhe, des die Tätigkeit der gesellschaftlichen Aktion Abwartens, Erleidens. In den Formulierungen Marxens wird dieses passive Moment der in der Natur liegenden Möglichkeit fast immer betont. Diese Formulierungen Marxens haben bei den besten Marxkennern unter den Gegnern der hier vertretenen Auffassung die Meinung erweckt, die passive Möglichkeit Natur könne doch unmöglich bestimmend für die Entwicklung der Geschichte sein. Sie über sehen sämtlich, dass es dennoch die Funktion des passiven Elements sein kann – und in diesem Falle: ist – der Tätigkeit ihre Wirkungsmöglichkeit und ihre Richtung zu geben. Es sind die „passiven“ Schienen, die dem aktiv sich bewegenden Eisenbahnzuge seinen Weg vorschreiben. Es ist das „passive“ Gewehrrohr, das dem Geschoss die Bahn bestimmt.

[86] G. Plechanow, „Die Grundprobleme des Marxismus“, Marxistische Bibliothek, Bd. 21, Wien-Berlin 1929, S. 95.

[87] Im Gegensatz etwa zu der Meinung Kautskys, die Natur bleibe „der Gesellschaft gegenüber fast stets dieselbe“ (a.a.O., S. 810), haben Marx und Engels auf dieses variiende Moment oft und mit Nachdruck hingewiesen. Vgl. „Marx-Engels-Archiv“, Bd. I, S. 238; Engels, „Dialektik und Natur“, $. 165; „Der Anteil der Arbeit“, S. 68; „Briefwechsel“, Bd. III, S. 349. (Marx über historische Modifikationen des vom Boden ausgehenden Einflusses).

[88] Brief Engels‘s im „Sozialistische Akademiker“, 1895, S. 373.

[89] K. Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, S. 15.

[90] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 316.

[91] F. Engels, „Der Ursprung der Familie“, S. 4. Hervorhebungen von uns.

[92] Die Rohheit des feudalen Ackerbaus wird von Marx mehrfach als sein Charaktermerkmal betont. Die „geringe und rohe Bodenkultur“ während der Feudalepoche wird bereits in der Feuerbachkritik, „Marx-Engels-Archiv“, Bd. I, S. 306, festgestellt. Im „Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 327, wird auf die „Rohheit der Arbeitsweise“ der Fronbauern hingewiesen.

[93] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 478. Hervorhebungen von uns.

[94] „Marx über Indien und China“, a.a.O., S. 386.

[95] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, 2. Teil, S. 327.

[96] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil 1, S. 77.

[97] Vgl. Wittfogel, „Voraussetzungen und Grundelemente der chinesischen Landwirtschaft“, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Jahrg. 1929, Heft 3, S. 600 ff.

[98] „Marx über Indien und China“, a. a. O., S. 386. Dass durch „gewisse Arbeitsprozesse“, deren Marx sechs nennt, davon vier auf den Wasserbau bezügliche, Trockenlegung von Land, Eindämmung, Bewässerung, Kanalbau, es erforderlich wird, „die Raumsphäre der Arbeit auszurecken“, zu Großformen der Arbeit – Kooperation – zu schreiten, das ist für die Beurteilung der konkreten Formen der Bewässerungsgesellschaften Asiens von geradezu ausschlaggebender Bedeutung. (Vgl. „Das Kapital“, Bd. I, S. 293.)

[99] Wenn auch Konfuzius, wie die Physiokraten (vgl. Marx, „Theorien“, Bd. I, S. 44 u. 46) seinem System einen „feudalen Schein“ gab, so proklamiert es doch ebenfalls faktisch eine neue soziale Ordnung auf den Ruinen der alten. Konfuzius hat nicht nur bewusst aus seinem Lehrsystem die alten feudalen Künste ausgeschaltet, er hat nicht nur praktisch in seinem Heimatstaate Lu die Brechung der feudalen Gewalten als Minister betrieben; er hat vor allem auch durch seine Neufassung des alten Kulturgutes in grundlegendem Maße das feudale, ritterliche, die militärische Leistung verherrlichende Element zum Teil vernichtet, zum Teil dermaßen umgebildet, dass sein ursprünglicher Sinn ins Gegenteil verkehrt wurde.

[100] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. I, S. 476.

[101] G. Plechanow, „Beiträge zur Geschichte des Materialismus“, deutsch, 3. Aufl., Stuttgart 1921, S. 180 ff. Wenn wir die Bedeutung des natürlichen Reichtums an sachlichen Mitteln der industriellen Arbeit für Englands Entwicklung im Mittelalter (Wolle) und in der Manufakturperiode (Wolle, Eisen und schiffbares Wasser) so sehr unterstreichen, so deshalb, weil in diesen beiden Geschichtsphasen die bodenständigen Rohstoffe für die industrielle Gestaltung eines Landes völlig entscheidend waren. „Vor der Erfindung der Maschinen – sagt Marx – erstreckte sich die Industrie eines Landes hauptsächlich auf die Rohstoffe, die sein eigener Boden hervorbrachte: so in England Wolle, in Deutschland Flachs, in Frankreich Seide und Flachs…“ („Elend der Philosophie“, S. 124). Das maschinelle Zeitalter hob die Abhängigkeit von den Rohstoffquellen nicht auf, gestaltete die e lediglich internationaler, komplizierter.

[102] „Report of the Royal Commission of the Coal Industry“ (1925). Volume I, Report, London 1926. S. 123.

[103] Ebenda, S. 125. Auf S. 266 werden die Vergleichszahlen der vor Ort Arbeitenden für die Jahre 1905 und 1924 gegeben, 1905 arbeiteten danach von allen unter der Erde beschäftigten Arbeitern 57,8 Prozent vor Ort, 1924 nur noch zu hoch ist [?]; diese zweite Schätzung nennt 49,8 Prozent. Der Bericht nimmt daraufhin den Mittelwert von 50 Prozent an. Das ergäbe eine Verschiebung von 7,8 Prozent für die Zeit von zwanzig Jahren zu Ungunsten der vor Ort Beschäftigten!

[104] Ebenda, S. 124.

[105] „Report of the Royal Commission of the Coal Industry”, Volume I, S. 125.

[106] „Aus dem literarischen Nachlass von Marx und Engels“, Bd. III, S. 444, Hervorhebungen von uns.

[107] Plechanow, dessen philosophische Schriften nach Lenin „das Beste in der ganzen internationalen Literatur des Marxismus“ darstellen (Lenin, „Noch einmal über die Gewerkschaften“, deutsch im Sammelband „Ausgewählte Werke“, Wien o. J., S. 623), hat sich mit der grundlegenden geschichtsphilosophischen Frage des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft ausführlich beschäftigt. Auf die Frage, was die Entwicklung der Produktivkräfte bestimme, antwortet er: „das geographische Milieu“, wobei er sowohl die Änderungen dieses Milieus durch die Tätigkeit des Menschen als auch die Tatsache, dass die Natur, auch die unmodifizierte, für den Menschen auf verschiedenen Stufen seiner Produktion in verschiedener Weise ökonomisch aktuell ist, in voller dialektisch materialistischer Klarheit in seine Darstellung einbezieht. Vgl. seine „Beiträge zur Geschichte des Materialismus“, S. 154, 177, 178, 180 ff., 225. Ferner seine „Grundprobleme des Marxismus“, S. 44 ff., 47, 51. Sehr bedeutsam ist ferner Plechanows Rezension des Werkes von Metschnikow „Die Zivilisation und die gossen historischen Flüsse“, deutsch in der „Neuen Zeit“ Jahrg. 9, 1. Bd., 1891, in der Plechanow in ausführlicher Weise zur Rolle des Naturmoments vom marxistischen Standpunkt Stellung nimmt. Unter dem „vereinten Wirken“ der Erforscher ihrer natürlichen und gesellschaftlichen Seite „werden sich nach und nach die innersten Geheimnisse der Geschichte enthüllen“ (S. 447). Der Cunowsche Standpunkt scheint dem Plechanowschen verwandt zu sein, doch ist diese Verwandtschaft eine sehr äußerliche, Cunow hat, durch seine Beschäftigung mit ethnologischen Fragen angeregt, natürlich sehen müssen, dass auf den niedrigen Stufen der geschichtlichen Entwicklung das Naturmoment von einer für die Richtung der Entwicklung ausschlaggebenden Bedeutung war. Allein dies haben die großen geographischen Materialisten allesamt auch gesehen. Cunow wiederholt, wenn er auf diesen Umstand hinweist, nur in marxistischer Einkleidung die alte vormarxistische These. Die Akzentverschiebung der Bedeutung des Naturmoments im Zeitalter des Industrialismus hat Cunow, da er das Wesen des einfachen Produktionsprozesses und damit auch die Kernstruktur des kapitalistischen Arbeitsprozesses verkennt, nicht zu bestimmen vermocht. Er nähert sich daher in ganz vulgärer Weise, wobei ihm wieder eine kleine Entstellung des Marx-Engelsschen Gedankens unterläuft, den Standpunkt der Emazipationstheoretiker an, jedoch ohne diesen – dazu ist er doch zu vorsichtig – ganz einzunehmen. Der Mensch wird im Laufe der Entwicklung nach ihm von der Natur immer unabhängiger, freilich „nur bis zu einem gewissen Grade“. „Er tauscht gewissermaßen nur einen Teil seiner Abhängigkeit von der natürlichen Umwelt gegen vermehrte Abhängigkeit von seiner sozialen Umwelt ein“ (a.a.0., Bd. II, S. 168). Er zitiert dann Engels, der darauf hinweist, dass die kapitalistische Industrie sich „von den lokalen Schranken ihrer Rohstoffe“ relativ unabhängig gemacht hat, und macht daraus eine „zunehmende Unabhängigkeit der Produktionsweise von den natürlichen Bedingungen des geographischen Raums” überhaupt (S. 169). Dass durch die von Engels angeführte Tatsache die Abhängigkeit von den Rohstoffquellen prinzipiell nicht aufgehoben, sondern nur auf eine vermitteltere Art zum Ausdruck gebracht wird, ist klar. Cunow hat die Grundformel Marxens von dem Elementarverhältnis Mensch-Natur, trotz einer Reihe von Marx-Zitaten, oder: gerade wegen ihrer – die wesentlichen fehlen – gar nicht richtig auf zufassen vermocht. Seine eklektische Formel, dass beide Seiten, Mensch wie Natur, sowohl aktiv wie passiv seien (S. 168), war nur möglich, weil Cunow nicht erkannt hat, dass die beiden Urbildner des materiellen Reichtums der Gesellschaft im Arbeitsprozess prinzipiell verschiedenartige Funktionen ausüben.

N. Bucharin hat in seinem Buche „Theorie des historischen Materialismus“ den Naturmoment mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als die Mehrzahl der sonstigen marxistischen Theoretiker. Bucharin betont, dass der Mensch niemals aus der Natur hinauszuspringen vermöge (S. 112), und dass der gesellschaftliche Arbeitsprozess sich nur als Stoffwechsel mit der Natur vollziehen kann. Doch rühren nach ihm die Veränderungen der Geschichte von der Technik her, da sie „die veränderliche Größe“, sei, im Gegensatz zur „mehr oder weniger beständigen“ Natur (S. 133). Auf Grund dieser Auffassung, mit der wir uns im Text ausführlich auseinandergesetzt haben, kommt dann Bucharin zu der These, dass in der Technik „der Ausgangspunkt für die Analyse der gesellschaftlichen Veränderungen liegen muss“ (S. 133), einer These, die auf der Verkennung der in ihrer Passivität doch richtunggebenden Rolle der Natur beruht und der wir, da sie in Widerspruch zu den Forderungen von Marx und Engels, dass der Ausgang von den Naturbestimmungen her zu nehmen sei, steht, nicht zu folgen vermögen.

[108] Plechanow, „Die Grundprobleme des Marxismus“, S, 95.

[109] K. Marx, „Das Kapital“, Bd. III, Teil 2, S. 355. Sperrungen von uns.

[110] Nachbemerkung des Verfassers. Der vorliegende Aufsatz wurde ebenfalls in der russischen Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus“ veröffentlicht (Jg. 1929, Nr. 2/3, 6, 7/8). Da technische Gründe mich leider nicht zu einer Korrektur dieser russischen Fassung kommen ließen, muss im Falle einer Diskussion dort, wo Divergenzen vorliegen (diese betreffen nur Details, der Grundgedanke ist durchaus der gleiche) der deutsche Text als die endgültige Formulierung der von mir vertretenen Auffassungen gelten.