Werner Sombart

Der Begriff der Gesetzmäßigkeit bei Marx[1]

 

Kein Begriff ist von Marx so salopp behandelt worden wie der der Gesetzmäßigkeit. Und das will etwas sagen. Und auf keinem Gebiet herrscht eine solche heillose Konfusion wie auf diesem. Noch keiner der Bearbeiter des Marxschen Systems hat sich der Mühe unterzogen, in den Begriffswirrwarr, der hier bei Marx herrscht, Ordnung zu bringen. Denn die Vielseitigkeit, die das Wort Gesetz und Gesetzmäßigkeit bei Marx hat, wird nicht aufgehellt dadurch, dass man zu allen Gesetzesauffassungen, die sich bei Marx finden, eine neue hinzufügt, die er sicher nicht gehabt hat, nämlich die ethische, wie es Stammler tut, der das Problem als ein zentrales wenigstens erkannt hat.

Was zunächst das Studium des Gesetzbegriffes bei Marx erschwert, ist der Umstand, dass der Meister in unzähligen Fällen von „Gesetzen“ spricht, wo in keinem Sinne – welchen auch immer – der Tatbestand eines Gesetzes vorliegt. Alle seine „mathematischen“ Berechnungen gehören hierher, in denen nichts anderes als analytische Sätze enthalten sind. Oder etwa das „Gesetz“, wonach eine immer wachsende Masse von Produktionsmitteln, dank dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von Menschenkraft in Bewegung gesetzt werden kann („Kapital“ I4, 610.). Oder das „Naturgesetz“, als welches er das „Wertgesetz“ aufgefasst wissen will, dem gemäß die Menschen arbeiten müssen, um zu leben, und dem gemäß „die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedene und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtproduktion erheischen“ (Brief an Kugelmann vom 11. Juli 1868, „Neue Zeit“ 20 II, 222.). Und ähnliches. Wir wollen vielmehr den „Gesetzesbegriff“ sinnvoll auf die Fälle einschränken, in denen Aussagen irgendwelcher Gültigkeit über das „Allgemeine“, „Wesentliche“ im Besonderen, Empirischen gemacht werden.

Dass Marx und sein Freund mit diesem Problem des „echter“ Gesetzes hart gerungen haben, lehrt ein Bild in ihre Werke. Immer und immer kehrt die Antithese zwischen Schein, Erscheinung und Wesen, „Realität“, „Wirklichkeit“ und „Begriff“ wieder. Freilich wiederum keineswegs in einer eindeutigen Ausdrucksweise, so dass hier schon der Grund für die Konfusion gelegt wird. So bedeutet z. B. das Wort „Wirklichkeit“ in einem Fall das genaue Gegenteil von dem, was es im anderen Fall ausdrücken soll: hier so viel wie Empirie, Erscheinungswelt: z. B. „Kapital“ 3 II, 367. Engels in den „Sozialistischen Monatsheften“ 1920, II, 1004, dort so viel wie Wesen: z. B. „Kapital“ 3 I, 297.

Ich führe nun einige Stellen an, aus denen man versuchen möge, sich eine Vorstellung von der Ansicht der Marx und Engels zu machen. (Sperrdruck meist von mir.)

1. „Wenn es ein Werk der Wissenschaft ist, die sichtbare, bloß erscheinende Bewegung auf die innere, wirkliche Bewegung zu reduzieren, so versteht es sich ganz von selbst, dass in den Köpfen der kapitalistischen Produktions- und Zirkulationsagenden sich Vorstellungen über die Produktionsgesetze bilden müssen, die von diesen Gesetzen ganz abweichen und nur der bewusste Ausdruck der scheinbaren Bewegungen sind.“ „Kapital“ 3 I, 297.

2. „Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhanges gegenüber darauf pocht, dass die Sachen in der Erscheinung anders aussehen. In der Tat, er pocht darauf, dass er an dem Schein festhält und ihn als letztes nimmt, wozu dann überhaupt eine Wissenschaft?“ Brief an Kugelmann vom 11. Juli 1868 in der „Neuen Zeit“ 20 II, 222.

3. „Die Vulgärökonomie pocht hier wie überall auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spinoza, dass die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist.“ „Kapital“ 14, 271.

4. „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge zusammenfielen.“ „Kapital“ 3 II, 352.

5. „Die wirkliche (!) Bewegung der Konkurrenz liegt außerhalb unseres Planes, wir haben hier nur die innere (!) Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen (!) ihren idealen Durchschnitt darzustellen.“ Deshalb behandelt er nicht (!)

6. die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Konjunktur, die Bewegung der Marktpreise, die Periode des Kredites, die Zyklen der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität und Krisen, ihnen – sc. die Produktionsagenden – als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. „Kapital“ 3 II, 387; vgl. 14, 280.

7. Die politische Ökonomie bemüht sich, „die Erscheinungsformen in ihrer gesetzmäßigen, ihrem Begriff entsprechenden Gestalt zu betrachten, dass heißt sie zu betrachten unabhängig von dem durch die Bewegung von Nachfrage und Zufuhr hervorgebrachten Schein.“ „Kapital“ 3 I, 169.

8. „Die allgemeinen (!) und notwendigen Tendenzen (!) des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren Erscheinungsformen.“ „Kapital“ 14, 280.

9. „Wissenschaftliche Wahrheiten sind stets paradox, wenn sie nach der alltäglichen Erfahrung beurteilt werden, die nur den trügerischen Schein der Dinge erfasst.“ Marx, Lohn, Preis und Profit.

10. „Die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten fortzuschreiten, ist nur die Art für das Denken, sich das Konkrete anzueignen.“

11. „Die einfachste ökonomische Kategorie … kann nie existieren außer als abstrakte einseitige Beziehung eines ihr gegebenen konkreten und lebendigen Ganzen.” „Die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum (ist) in der Tat ein Produkt des Denkens, des Begreifens…, keineswegs aber ein Produkt des außer oder über die Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern die Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffen. Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglicher Weise angeeignet.“ (10.) und (11.) Marx, Einleitung usw. „Neue Zeit“ 21, I, 773. f.

Am ausführlichsten hat einmal Engels über das Problem der Beziehungen zwischen „Begriff“ und „Realität“, „Gesetz“ und „Zufall“ sich unter Bezugnahme auf meine Interpretation des Wertgesetzes geäußert in einem Brief an G. Schmidt vom 12. März 1895 (abgedruckt „Soz. Mon, Heften“ 1920, II, 1004), dem ich folgende Stellen entnehme:

12. „Die Vorwürfe, die Sie dem Wertgesetz machen, treffen alle Begriffe vom Standpunkt der Wirklichkeit aus betrachtet. Die Identität von Denken und sein … deckt sich überall mit Ihren Beispielen von Kreis und Polygon. Oder die beiden, der Begriff einer Sache und ihre Wirklichkeit, laufen nebeneinander wie zwei Asymptoten, sich stets einander nähernd (!) und doch nie zusammentreffend. Dieser Unterschied beider ist aber der Unterschied, der es macht, dass der Begriff nicht ohne weiteres, unmittelbar schon die Realität und die Realität nicht unmittelbar ihr eigener Begriff ist. Deswegen, dass ein Begriff die wesentliche Natur des Begriffes hat, dass er also nicht prima facie sich mit der Realität deckt, aus der er erst abstrahiert werden musste, deshalb ist er immer noch mehr als eine Fiktion, weil die Wirklichkeit ihm nur auf einem großen Umwege und auch dann nur asymptotisch annähernd entspricht. Geht es der allgemeinen Profitrate anders? … Wollten wir verlangen, die Profitrate soll … genau gleich sein, bei Strafe der Degradation zur Fiktion, so würden wir die Natur der Profitrate und die ökonomischen Gesetze überhaupt arg verkennen; sie alle haben keine andere Realität als in der Annäherung, der Tendenz, im Durchschnitt (!), aber nicht in der unmittelbaren Wirklichkeit. Das kommt einerseits daher, dass ihre Aktion von der gleichzeitigen Aktion anderer Gesetze durchkreuzt wir, teilweise aber auch von ihrer Natur als Begriff (!).” Dasselbe gilt von den Gesetzen des Arbeitslohnes, der Grundrente usw., die alle eine „vollständig angenäherte Realisierung“ nur bei reinem Kapitalverhältnis haben. „Die Einheit von Begriff und Erscheinung stellt sich dar als wesentlich unendlicher Prozess.

Nun aber hören wir, was Marx noch weiter über den Begriff der Gesetzmäßigkeit, wie er ihn in seinem System verwendet, zu sagen weiß.

13. „Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage von Warentausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so dass der Austausch von Äquivalenten als Ausgangspunkt dient.“ Dazu die Anmerkung: dieses heißt: „Die Kapitalbildung muss möglich sein, auch wenn der Warenpreis gleich dem Warenwert. Sie kann nicht aus der Abweichung der Warenpreise von den Warenwerten erklärt werden. Weichen die Preise von den Werten wirklich ab, so muss man sie erst auf die letzteren reduzieren, d. h. von diesem Umstand als einem zufälligen absehen, um das Phänomen der Kapitalbildung auf Grundlage des Warenaustausches rein vor sich zu haben.“ „Kapital“ 14, 128.

14. „Der Austausch oder Verkauf der Waren zu ihrem Wert ist das Rationelle, das natürliche Gesetz ihres Gleichgewichtes; von ihm ausgehend sind die Abweichungen zu erklären, nicht umgekehrt aus den Abweichungen das Gesetz selber. („Kapital“ 3 I, 167.)

15. „Das Vernünftige und (!) Naturnotwendige setzt sich als blind wirkender Durchschnitt durch.“ Brief an Kugelmann vom 11. Juli 1868 „Neue Zeit“ 20, II, 222.

16. „In der Theorie wird vorausgesetzt (!), dass die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise sich rein entwickeln. In der Wirklichkeit besteht auch eine Annäherung, aber diese Annäherung ist um so größer, je mehr die kapitalistische Produktionsweise entwickelt … ist.“ „Kapital“ 3 I, 154. Vgl. auch noch

16a. die interessanten Ausführungen über die „Gesetze der Warenproduktion“. „Kapital“ 14, 547. ff.

17. „Die Gesetze des abstrakten Denkens, das vom einfachsten zum Kombinierten aufsteigt, (entsprechen) dem wirklichen historischen Prozess“ (z. B. erst Geld, dann Kapital und Banken). Marx, Einleitung usw. A. a. O.

18. „Die Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst.“ „Kapital“ 14, 728.

19. „Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion (macht) eine fortwährende Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur Notwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht jedem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze kapitalistischen Produktionsweise als

20. äußere Zwangsgesetze auf,“ „Kapital“ 14, 555.

Ferner setze ich noch die bekannten Stellen aus dem Vorwort zur ersten Auflage des „Kapitals“ hierher, in dem Marx ganz ausdrücklich seine „Methode“ kennzeichnet:

21. „An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder weiteren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen.“ (!)

22. „Eine Gesellschaft (kann) dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur (kommen)“,

23. „und es ist der letzte Endzweck dieses Werkes, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen.“ Was dann unzählige Male im Buche wiederholt wird bis zu der großen Schlussphrase:

24. „Die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.“ „Kapital“ 14, 728.

Ein Bekenntnis zu dieser naturgesetzlichen Auffassung legt Marx auch ab, indem er die Kritik seines „Kapitals“ durch einen russischen Kritiker als „treffend“ bezeichnet, die in dem Satze gipfelt:

25. „Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozeß, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewusstsein und den Absichten der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewusstsein und Absichten bestimmen.“ Ursprünglich im „Nachwort“ zur zweiten deutschen Auflage des „Kapitals“, den späteren Auflagen als Vorwort vorausgeschickt.

Aber die Glanzstücke der Marx–Engelsschen Gesetzsammlung haben wir noch gar nicht kennengelernt. Da heißt es z. B. in der Misère (40):

26. „La production commence à se fonder sur l’antagonisme des ordres, des états, des classes; enfin sur l’antagonisme du travail accumulé et du travail immédiat. Pas d’antagonisme, pas de progrès. C’est la loi que la civilisation a suivi jusqu’à nos jours.“

27. „Der Geld- und Warenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschossene Minimalsumme weit über dem mittelaltrigen Minimum steht. Hier wie in der Naturwissenschaft bewährt sich (!) die Richtigkeit des von Hegel in seiner Logik entdeckten Gesetzes, dass bloß quantitative Veränderungen auf einem gewissen Punkte in qualitative Unterschiede umschlagen.“ „Kapital“ 14, 273.

28. „Sofern jede einzelne Transaktion (sc. auf dem Arbeitsmarkte) fortwährend der Gesetze des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Arbeiter sie stets verkauft … schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung (!) oder Gesetz des Privateigentums (!) durch seine eigene, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegenteil um… Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht gegründet auf eigene Arbeit … Eigentum erscheint jetzt, auf seiten des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit als ihr Produkt, auf seiten des Arbeiters als Unmöglichkeit, sich sein eigenes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.“ „Kapital“ 14, 546/547.

29. „In dem Maße, wie sie (die Warenproduktion) nach ihrem eigenen immanenten Gesetze sich zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben Maße schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneignung.“ „Kapital“ 14, 550/551.

Endlich sei noch eine besonders interessante Stelle aus dem „Anti-Dühring“ zitiert, wo Engels (159. ff.) nachzuweisen versucht, dass der Militarismus „an der Dialektik seiner eigenen Entwicklung“ zugrunde geht, und wo er von der Marine sagt:

30. „Dieser Kampf (zwischen Panzerplatte und Geschütz) (offenbart) auch auf dem Gebiete des Seekrieges jene inneren dialektischen Bewegungsgesetze…, nach denen der Militarismus, wie jede andere geschichtliche Erscheinung, an den Konsequenzen seiner eigenen Entwicklung zugrunde geht.“ (166.)

Wenn man diese Blütenlese von Zitaten, die man leicht vermehren könnte, namentlich auch aus den Werken des Friedrich Engels, überblickt, so wird man sich des Eindrucks der Reichhaltigkeit des Gebotenen nicht erwehren können. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.“ Versuchen wir aber, die verschiedenen Auffassungen vom Wesen der Gesetzmäßigkeit, die aus den angeführten Stellen herausgelesen werden können, auf einige Grundtypen zurückführen, so lassen sich mit einiger (nie vollständiger) Sicherheit etwa folgende unterscheiden:

1. Zahlreiche Äußerungen der Meister lassen darauf schließen, dass ihnen etwas wie eine idealtypische, also rein konstruktive Gesetzmäßigkeit vorgeschwebt habe. Das kann man aus den Zitaten 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 12 herauslesen und findet es dann in den Zitaten 10, 11, 13, 14 ziemlich deutlich bestätigt. So fassen auch die intelligentesten Marxisten den Begriff der Gesetzmäßigkeit bei Marx. Unter besonderer Berufung auf die Zitate 10. ff., erklärt z.B. Otto Bauer es als des Marx eigentümliches Verfahren, dass seine Begriffe nicht, wie die Hegels, wahre Wesenheiten sein wollen, sondern nur Werkzeuge, das konkrete Empirische geistig zu bewältigen und in der Wissenschaft zu reproduzieren. (Otto Bauer, Die Geschichte eines Briefes, „Neue Zeit“ 26, I, 30.)

In der Tat bekommt z. B. das ganze „Wertgesetz” in dieser Auffassung als idealtypische Konstruktion allein einen Sinn, wie ich schon vor langer Zeit ausgeführt habe, und auch aus Marx lassen sich viele Belege dafür anführen, dass er manchmal dieselbe Auffassung von dem Wesen seiner Theorie gehabt hat. „Es wird nämlich unterstellt, dass die Preise = den Werten.“ („Kapital“ 14, 182. und öfters.)

Dieser Auffassung widersprechen nun aber zahlreiche Stellen, in denen etwas ganz anderes gelehrt wird. Ausdrücklich wendet sich Engels (in dem Zitat 12) gegen die „Degradation“ der Begriffe zu „bloßen Fiktionen“. Was ist das andere, das ihnen vorschwebt? Wir können es

2. als rationale oder „immanente“ Gesetzmäßigkeit bezeichnen, von denen bei Marx– Engels so besonders häufig die Rede ist. Sie kann gemeint sein in den ersten neun Zitaten (offenbar kannten die Meister sowohl die idealtypische als die immanente Gesetzmäßigkeit); sie wird ziemlich eindeutig vertreten in den Zitaten 15, 16, 17, 18. Demnach wird also nicht nur der Gegensatz zwischen rationalem Gedankenbild und empirischer Wirklichkeit betont (wie im ersten Falle der idealtypischen Gesetzmäßigkeit), sondern es wird eine „Annäherung“ jenes an diese, eine Einwirkung des Rationalen auf das Empirische behauptet. Gemäß der Auffassung, dass sich im menschlichen Verhalten eine an die Gesetzmäßigkeit des Vernünftigen gebundene Zwangsläufigkeit erkennen lasse, die um so eindeutiger erscheint, je mehr das geschichtliche Geschehen „rationalisiert“ wird.

Offenbar verwandten nun aber die Meister den Begriff der Gesetzmäßigkeit noch in einem ausgesprochen metaphysischen Sinne, und das ist überall dort der Fall, wo sie

3. die Natur-Gesetzmäßigkeit in ihr System einfügen. Wie es deutlich in den Zitaten 6, 20, 21, 22, 23, 24 geschieht. Hier wird zum Teil sogar (siehe Zitat 5/6) die „immanente“ Gesetzmäßigkeit der Naturgesetzmäßigkeit entgegengesetzt, offenbar, ohne dass die Verfasser sich der Tragweite dieses Unterschiedes völlig bewusst geworden wären. Dass die Ansicht von der „überwältigenden ehernen Notwendigkeit“, der „unverbrüchlichen Autorität“ der Naturgesetze sich schlecht mit der empiristischen Grundlage des Marxschen Systems verträgt, ist einleuchtend. Denn der Begriff „Naturgesetz“ wird von Marx–Engels offenbar nicht in dem nominalistischen Sinne der modernen Naturwissenschaft gefasst, dem gemäß das „Naturgesetz“ nichts als die Formel für einen empirisch beobachteten „Funktionalzusammenhang, eine Differentialgleichung“ (Poincaré) ist, sondern durchaus in einem massiv-ontologischen Verstande. Und damit natürlich wird die Grenze der verstehenden Sozialwissenschaft überschritten und die Erkenntnis auf das metaphysische Gebiet hinübergeschoben.

Vergegenwärtigen wir uns, was Marx – im Anschluss an französisch-englische Denker des 18. Jahrhunderts wie gewöhnlich – und nach ihm die Marxisten unter sozialer Naturgesetzmäßigkeit verstehen.

Die Vorstellung von einem „naturgesetzlichen“ Ablauf der Geschichte ergibt sich mit Notwendigkeit aus der naturalistischen Auffassung des menschlichen Gemeinschaftslebens, die allem modernen Sozialismus eigen ist. Bildet die „Kultur“ einen Teil der „Natur“, so ist die Geschichte ein „Naturprozess“, und es gelten für ihn alle die Regeln der wissenschaftlichen Erkenntnis, die für die Betrachtung der Natur überhaupt gelten. Die „Gesetzmäßigkeit“ wird dann aber wie folgt konstruiert:

a) Die Handlung aus Freiheit ist ausgeschlossen: die menschlichen Handlungen sind kausal bestimmt, „determiniert“: Die Geschichte ist ein „Ablauf“, der im Bilde eines Stromes erscheint, in dem die einzelnen menschlichen Handlungen die Tropfen bilden, die aber von tiefer wirkenden, unter dem Bewusstsein des Menschen liegenden „Kräften“ bewegt wird.

So hatte die naturalistische Sozialphilosophie des 18. Jahrhunderts bereits gelehrt:

„tutto è catena in questo mondo“, Filanguieri, Scienza della legisl. 1, 349. Die Geschichte ist „a passing stream“, „the forms of society are derived from an obscure and distant origin; they arise long before the date of philosophy from the instincts, not from the speculations“, meinte Ferguson (Essay, 186); er ist überzeugt von der „Überlegenheit der Prozesse des Geschehens über die menschlichen Kräften“. Deutsche Übersetzung des Essay S. 10. Condillac weiß, „dass die Dinge einen Lauf haben, den keine menschliche Macht aufzuhalten vermag“. (Oeuvres 10, 525/26, zitiert bei Huth, Soz. und individ.. Auffassung im 18. Jahrh., 43.

„Wir wollen uns geduldig einem unveränderlichen Gesetz der Natur unterwerfen“, heißt es bei Iselin.

Einen „Beweis“ für die Richtigkeit solcher Auffassung entnimmt man frühzeitig der Beobachtung der Tatsache, die Wundt als Heterogonie der Zwecke bezeichnet hat.

„Wenn die Menschen dem augenblicklichen Antrieb ihres Geistes folgen, indem sie sich bestreben, Unangenehmen zu entfernen oder sichtbare und naheliegende Vorteile zu erreichen, gelangen sie zu Zielen, die selbst ihre Phantasie nicht voraussehen konnte, und verfolgen gleich anderen Lebewesen die Bann ihrer Natur, ohne zu bemerken (perceiving), wohin sie führt. Derjenige, der zuerst sagte: »Ich will mir dieses Feld zueignen, ich will es meinen Erben hinterlassen«, sah nicht, dass er ein Beispiel zu fortdauernder Unterordnung gab, unter deren Vorwand der Raubgierige seinen Besitz an sich reißen, der  Hochmütige seine Dienste beanspruchen würde.“ Ferguson, Essai, deutsch, S. 170.

„Die ersten Funken der Freiheit, die Europa erleuchteten, (waren) das unbeabsichtigte Werk der Kreuzzüge, und es trug zum ersten Male der Wahnsinn der Eroberungen zum Glück der Menschheit bei.“ Raynal, Geschichte l, 71.

(Die „Heterogonie der Zwecke“ hatte schon vorher – als erster? – Vico gelehrt, aber nicht von einem naturalistischen, sondern von einem emanatistischen Standpunkt aus, wie ihn dann Hegel wieder vertrat. Siehe die wunderbare hellsichtige Stelle im 1. Band, 5. Buch, 4. Kapitel der „Neuen Wissenschaft“.)

Fortsetzer der naturalistischen Geschichtsauffassung waren dann die großen französischen Historiker der Restauration: Mignet, Guizot, Thierry, von ihnen sagt Heinrich Heine, dass sie dem Zufall, den menschlichen Leidenschaften wenig Spielraum gestatten und die Erscheinungen seit 1789 als Ergebnis der strengsten Notwendigkeit darstellten. Heine nannte sie deshalb die „fatalistische“ Schule.

Bei der geringen Kenntnis, die Marx von der soziologischen Literatur des 18. Jahrhunderts hatte, ist anzunehmen, dass den größten Einfluss auf ihn die französischen Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts ausgeübt haben. Jeder falls finden wir bei ihm seit der Frühzeit diesen Gedanken lebendig, dass die „Verhältnisse“ die Menschen über ihre Köpfe hinweg zu Handlungen führen, deren Zwecksetzung nichts mit den endlichen Ergebnis der Geschichte zu tun hat.

So heißt es schon in der „Heiligen Familie“ (Seite 44): „Das Privateigentum treibt sich selbst (!) in seiner nationalökonomischen Bewegung zu seiner Auflösung fort, aber nur durch eine von ihm unabhängige, bewusstlose, wider seinen (!) Willen stattfindende, durch die Natur der Sache (!) bedingte Entwicklung.“ Das ist dieselbe Vorstellung, die den bekannten Worten im Vorwort zur „Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) zugrunde liegt, dass die Menschen „in der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens“ „bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse“ eingehen.

Engels hat dann diesen Gedanken an verschiedenen Stellen ausgeführt. So schreibt er schon in den „Umrissen“, dass die Periodizität der Krisen „ein Naturgesetz (ist), das auf der Bewusstlosigkeit der Beteiligten beruht“ (Lit. Nachlass 1, 449). Und später im „Anti-Dühring“ (Seite 157): Die Bourgeoisie hat „dies Resultat ihres eigenen Tun und Treibens (nämlich: dass sie der Produktion ausscheidet und nur noch Revenuen bezieht [!]) keineswegs gewollt; im Gegenteil, es (!) hat sich mit unwiderstehlicher Gewalt gegen (!) ihren Willen und gegen (!) ihre Absicht durchgesetzt.“ Denn „die gesellschaftlich wirksamen Kräfte wirken ganz wie Naturkräfte: blindlings, gewaltsam, zerstörend, solange wir sie nicht erkennen“. Und endlich (in einem Briefe vom 21. September 1890, der im Soz. Akademiker 1895 Seite 351 mitgeteilt ist): das geschichtliche Ergebnis ist die Resultante aus zahlreichen „sich durchkreuzenden Kräften“, „die selbst wieder als das Produkt einer als Ganzes bewusstlos und willenlos wirkenden Macht (!) angesehen werden kann“.

b) Der „Stoff“ in der naturalistisch konstruierten Geschichte sind die Menschen, die bewegt werden. Sie haben ihre Bedeutung nicht als Subjekte, sondern als Objekte oder, wie es in dialektischer Jargon mit Vorliebe heißt: als Subjekt-Objekte, Sie erscheinen nicht in ihrer individuellen Gesamtheit, sondern in ihrer ununterschiedlichen kompakten Massenhaftigkeit. Hier begegnen sich die naturwissenschaftliche Betrachtung und die demokratisch-proletistische Wertung. Der naturalistischen Geschichtsauffassung entspricht die Entthronung der Eminenzen: die Geschichte ist nicht das Werk einzelner schöpferischer Genien, sondern der triebhaft-impulsiven großen Massen: diese sind die Träger oder die Verkörperungen des geschichtlichen Prozesses. Diese kollektivistische Geschichtsauffassung ist das Gegenstück zu der Milieutheorie.

Hier hatten wiederum die Geschichtsphilosophen des 18, Jahrhunderts schon alles wesentliche gesagt. Es war ein französischer Gedanke, dass das Wohl und Wehe der Geschichte in den „couches intérieures de la société“ liege.

Einer der Väter dieser demokratischen Geschichtsauffassung ist der französische Prediger Weguelin, auf dessen Bedeutung J. Goldfriedrich in seinem schönen Buche „Die historische Ideenlehre in Deutschland“ (1902) hingewiesen hat. Nach ihm sind die großen Männer keine privilegierten Geister. Mancher andere, versetzt in dieselbe Kombination der Ereignisse und dasselbe Milieu, würde ähnliche Wirkungen hervorgebracht haben. Auch der große Staatsmann, wie jeder einzelne, ist abhängig von den, gebunden an und in die Verhältnisse; „l’ordre des idées de César tut la copie et la représentation de l’ordre des faits publics“. Sur la philosophie de l’histoire (1770), 363. Von den großen Männer geht keine absolute Neuschöpfung aus; sie können nur das gegebene Material klug verwerten, kombinieren usw. Die Eminenzen kommen nur unter dem Gesichtspunkt der Masse in Betracht: sie nehmen aus der Masse ihren Stoff, und auf die Masse müssen sie mit dem von ihnen Geformten zurückwirken, wenn ihre Wirkung eine geschichtliche heißen soll. A. a. O. S. 37/38.

Dieser Glaube an die Allbedeutung der Massen im Geschichstlauf entsprach allein der miserabelistischen Einstellung, die einen wichtigen Bestandteil des modernen Sozialismus bildet.

Die folgenden Worte, die Friedrich Engels schrieb, sind für alle gesprochen:

„Wenn es darauf ankommt, die treibenden Mächte zu er forschen, die hinter den Beweggründen (!) der geschichtlich handelnden Masse stehen und die eigentlichen, letzten Triebkräfte der Geschichte ausmachen, so kann es sich nicht so sehr um die Beweggründe bei einzelnen, wenn auch noch so hervorragenden Menschen handeln, als um diejenigen, welche große Massen, ganze Völker (!). und in jedem Volk auch ganze Volksklassen in Bewegung setzen … Die treibenden Ursachen zu ergründen, die sich hier in den Köpfen der handelnden Massen (!) und ihren Führern, den sogenannten großen Männern, als bewusste Beweggründe widerspiegeln, das ist der einzige Weg, der uns auf die Spur der die Geschichte im ganzen und großen wie in den einzelner Perioden und Ländern beherrschenden Gesetze selbst führen kann…“

c) Eine beliebte Vorstellung: er naturalistischen Geschichtsphilosophen ist die Einheit des Menschengeschlechts. Diese Vorstellung war aus idealistischem Geiste geboren: es war die in der Idee einheitliche Menschheit, deren Erziehung zu vorgestellter Idealität als der Inhalt der Geschichte angesehen wurde: das war der Grundgedanke der christlichen Geschichtsphilosophie gewesen und bleibt es bei der idealistischen Geschichtsphilosophie des 18. Jahrhunderts (Kant!, Lessing!, auch Herder trotz allem!), um noch einmal dem Hegelschen System als Unterlage zu dienen. Nachdem der Begriff der Menschheit naturalistisch gefasst wurde, musste die menschliche Spezies, „die Gattung“, die Stelle der Idee ersetzen. Aber die Vorstellung von der Einheit des Menschengeschlechts beherrschte die Gemüter trotzdem. „Le genre humain considéré depuis son origine parait aux yeux d’un philosophe un tout immense, qui lui-même a comme chaque individu son enfance et ses progrès“, heißt es bei Turgot (OEuvres 2, 598). Und diese Vorstellung ist dann, darf man sagen, auch das Gemeingut allen sozialistischen Denkens geworden: die Systeme von Fourier, St. Simon, Proudhon, Marx sind auf diesem Gedanken aufgebaut.

In den zuletzt angeführten Worten von Engels deutet dieser nun aber auf das wichtigste Problem hin, das das Problem der Naturgesetzlichkeit umschließt: die treibenden Kräfte. Die „Kraft“ hat immer das Prunkstück in der alten metaphysischen Auffassung vom Naturgesetz gespielt, und von ihren ersten Anfängen an ist auch die naturalistische Geschichtstheorie auf der Suche nach solchen „Kräften“, die die Menschen im Geschichtsprozess vorwärts treiben oder in Verbindung mit denen sie sich vorwärts wälzen, um die, von Marx immer wieder betonte Aktivität der Menschen nicht außer acht zu lassen. Der Newtonismus, der auch bei der Konzeption dieser Kräftelehre Pate gestanden hat, verlangte die Zurückführung des geschichtlichen Geschehens auf letzte elementare Gegebenheiten, womöglich auf eine Grundkraft. Je nach dem Entscheid für die eine oder die andere der „elementaren Tatsachen“ entstehen im Laufe der Zeit verschiedene Spielarten der naturalistischen Geschichtsauffassung, auf die ich in meinem Aufsatz über die Anfänge der Soziologie bereits hingewiesen habe. Es sind:

1. die geographische Geschichtstheorie, die ihren Höhepunkt in Backle erreicht, wonach bestimmend für die Gestaltung der Geschichte die natürlichen, namentlich die klimatischen Verhältnisse sind;

2. die psychologische Geschichtstheorie, der am häufigsten wiederkehrende Typ: die menschliche Geschichte wird abgeleitet aus letzten elementaren Grundeigenschaften – genauer Grundtrieben – der menschlichen Seele, die als geheime Naturgewalten wirken, natürlich dem handelnden Menschen selbst unbewusst.

Der genialste Vertreter dieser psychologistischen Geschichtsauffassung, der übrigens in seinen besten Werken – glücklicherweise! – nur wenig Gebrauch von ihr gemacht hat, ist Hippolyte Taine. Er prägt den Satz: „L’histoire au fond, est un problème de psychologie.“ (Histoire de la Literature anglaise. Introduction p. XLV.) Folgerichtig muss diese Betrachtungsweise die Psychologie zur Grundwissenschaft der Geisteswissenschaften machen und ihr für diese dieselbe Rolle zuweisen wie der Mechanik für die Naturwissenschaften. Dies tat denn Taine auch: „A mon sens, la psychologie doit jouer dans toutes les sciences morales le même tôle que la Mécanique dans toutes les sciences physiques.“ Rev. des deux mondes. 15. IV. 1907, p. 787.

Je nach der Bestimmung bestimmter Triebe als „Grundtrieb“ ergeben sich dann verschiedene Nuancen psychologischer Geschichtsauffassung: eine mehr intellektualistische und eine mehr sensualistische Richtung und innerhalb dieser wiederum eine sehr optimistische und eine mehr pessimistische Auffassung.

3. Die technologisch-ökonomische Geschichtstheorie, die unter dem Namen der materialistischen Geschichtsauffassung bekannt geworden ist. Diese Geschichtstheorie, die die Geschichte auf technologisch-ökonomische Grundtatsachen zurückführt, ist die dem proletarischen Sozialismus eigentümlich gewordene. Diese Theorie war, wie ich in dem oben erwähnten Aufsatze zu zeigen versucht habe, am Ende des 18. Jahrhunderts schon völlig ausgebildet, so dass Marx, als er sie zusammen mit Engels in den 1840er Jahren verkündete, nichts hinzuzutun hatte. Was uns hier an der Theorie interessiert, ist die in ihr enthaltene metaphysische Lehre von den in der Geschichte wirksamen „Kräften“. Das sind nun in der Marx–Engelssche Sprachweise die „Produktivkräfte“. Wie es in der schon zitierten Stelle bei Engels heißt: „die Produktivkräfte … treiben, wie mit Naturnotwendigkeit, die ganze bürgerliche Gesellschaft dem Untergange oder der Umwälzung zu“ (Anti-Dühring, 157). Vgl. auch Marx, Misère, 99 f. und das Vorwort zur „Kritik“.

Auch die namhaftesten Marxisten erblicken in den „Produktivkräften“ die treibenden „Kräfte“ der Geschichte. „Die ganze Geschichte der Menschheit, in der die Bourgeoisie nur zusammenhanglose Tatsachen, Zufall und Wunder sieht (!), (erscheint uns) … als eine Entwicklung, die aus ihrer materiellen Grundlage, der stetigen Entwicklung der Produktionskräfte, vollständig zu begreifen und zu erklären ist.“ Pannekoek, Religion und Sozialismus, 21/22.

„Die Entwicklung der Produktivkraft ist der systematische Ausgangspunkt, der gestaltende Faktor, welcher die Staaten baut, Regierungsformen bestimmt, Parteien gruppiert und die Begriffe der Freiheit und Gerechtigkeit läutert und vervollkommnet… Also vorwärts! Ob man will oder nicht will …“ J. Dietzgen, Soz.dem. Philosophie, 9.

Was Marx unter „Produktivkräften“ verstanden wissen will, kann für den unbefangenen Leser ebenfalls nicht zweifelhaft sein: es ist das technische Können, wie es sich z. B. in einer „Maschine“ ausdrückt. Dieses bestimmt die „Produktionsverhältnisse“, unter denen er die Organisation der Arbeit in Betrieben versteht, z. B. einer „Fabrik“, wie alles übrige geschichtliche Leben.

„En acquérant de nouvelles forces productives, les hommes changent leur mode de production, et en changeant le mode de production, la manière de gagner leur vie, ils changent tous leurs rapports sociaux. Le moulin à bras vous donnera la société avec le suzerain ; le moulin à vapeur, la société avec le capitaliste industriel.“ Misère, 99 f.

„Un changement survenu dans les forces productives des hommes amène nécessairement un changement dans leurs rapports de production“. A. a . O. S. 115.

Noch deutlicher, deutlich genug für den schlechtesten Verstand, wenn sein Träger französisch versteht: „Les machines ne sont qu’une force productive. L’atelier moderne, qui repose sur l’application des machines, est un rapport social de production, une catégorie économique“, A. a. O. S. 128.

Und für den des Französischen Unkundigen ist es noch einmal ebenso deutlich auf deutsch gesagt, was Marx meint, in der hier schon oft zitierten Hauptstelle im Vorwort zur Kritik: „…gehen die Menschen Produktionsverhältnisse (ein), die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktionskräfte entsprechen“. Vgl. auch noch „Kapital“ 14, 345.

Also: 1. Produktivkräfte, darauf oder denen gemäß

2. Produktionsverhältnisse, darauf oder denen gemäß

3. der juristische und politische Überbau.

Mit diesem Hinweis auf die „Produktivkräfte“ als die „treibenden Kräfte“ der Geschichte, die z. B. „die Bourgeoisie dem Untergang zutreiben“, ist nun aber auf ein völlig dunkles Loch hingewiesen. Es ist noch nie ein „mystischeres“ Ding in irgendeiner Metaphysik als Realität angesprochen worden als diese geheimnisvollen „Produktivkräfte“, die unabhängig von den Menschen da sind und mit diesen ihr Spiel treiben wie neckische Geister.

Ich habe im vorstehenden die naturgesetzliche Auffassung von Marx analysiert. Es gibt nun Marxisten, die die Kategorie der „Naturgesetzmäßigkeit“ bei Marx überhaupt nicht finden wollen, die vielmehr behaupten: Marx habe gerade auf den Unterschied zwischen den die Gesellschaft und den die Natur beherrschenden „Gesetzen“ oft und ausdrücklich hingewiesen. Richtig. Aber die Meister haben immer wieder betont, dass die die menschliche Gesellschaft beherrschenden Gesetze „nach Art der Naturgesetze“ wirken, haben sie selbst auch „Naturgesetze“ genannt. Und das, was sie unter diesen Begriffen verstanden haben, ist eben nichts anderes, als was dem Begriff der Gesetzmäßigkeit in der Natur entspricht. Aber die haben, so heißt es, diese Gesetzmäßigkeit auf die bisherige Geschichte, ja vielleicht sogar auf die Geschichtsperiode des Kapitalismus beschränkt. Nach deren Ablauf treten nach ihrer Meinung die Naturgesetze in den Ruhestand. Diese Auffassung habe ich nie recht ernst nehmen können. Ich habe sie immer für einen schlechten Witz gehalten. Das wäre doch eine Gesetzmäßigkeit, die man, um das Schopenhauersche Bild zu gebrauchen, wie einen Fiaker an jeder beliebigen Stelle halten lassen könnte. Entweder die menschliche Gesellschaft ist ein Teil der Natur und wird von Naturgesetzen beherrscht, dann gelten diese Gesetze immer; oder man spricht den Menschen die Fähigkeit zu. aus Freiheit zu handeln, dann muss man die Fähigkeit für alle Geschichte anerkennen. Der berühmte Satz von dem „Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das der Freiheit“ (das mit dem Siege des Proletariats beginnen soll) ist eine nichtssagende demagogische Phrase und gehört in den Bereich der sozialistischen Mythologie.

Man kann den Satz gelten lassen, dass bisher die gesellschaftlichen Naturgesetze nicht erkannt worden seien und deshalb „blindlings, gewaltsam, zerstörend“ wirken, dass sie in der Zukunft gezähmt und in den Dienst der Menschheit gestellt werden wie die Gesetze der außergesellschaftlichen Natur. Aber dann wird doch ihre Weiterexistenz angenommen. Der Gedanke, dass ein Naturgesetz, nachdem es erkannt ist, aufhört zu wirken, ist absurd. „Naturgesetze können … nicht aufgehoben werden“. Marx, Neue Zeit 20 II, 222.

Nun erinnern wir uns aber der oben mitgeteilten Sammlung von Marx–Engels-Zitaten und stellen fest, dass einige dieser Zitate von uns noch nicht auf ihren Sinn untersucht worden sind. Es sind dies die Nr. 26–30. Und diese Stellen sind für das Verständnis der Marxschen Auffassung vom Wesen der Gesetzmäßigkeit vielleicht die wichtigsten, denn in ihnen wird das verkündet, was die Meister

4. die dialektische Gesetzmäßigkeit genannt haben. Sie aber ist wohl der charakteristischste Bestandteil der Marxschen Geschichtsmetaphysik.

Der Marxschen Geschichtsmetaphysik. Nicht etwa seiner Forschungsmethode, wie unbegreiflicherweise Max Adler (Marxistische Probleme [1913), 77/78) behauptet. Dafür liegen doch die Zeugnisse von Engels vor, die keinen Zweifel aufkommen lassen, dass er und Marx, dessen Imprimatur der Anti-Dühring trägt (die Hauptquelle für das Studium der „materialistischen Dialektik“, wie sie die Meister verstanden), die Dialektik in einem ganz massiv-metaphysischen Sinne fassen. Engels wehrt sich (a. a. O. S. 125. ff.) ausdrücklich dagegen, die Dialektik als bloße Methode zu betrachten; sie enthalte vielmehr „die Keime einer umfassenden Weltanschauung“. Sie ist „ein äußerst (!) allgemeines und deswegen äußerst (!) weit wirkendes Entwicklungsgesetz der Natur, der Geschichte und des Denkens; ein Gesetz, das … in der Tier- und Pflanzenwelt, in der Geologie, in der Mathematik, in der Geschichte, in der Philosophie zur Geltung kommt … Die Dialektik ist … weiter nichts (!!) als die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens“ (133).

„Die Begriffsdialektik (ist) … nur der bewusste Reflex der dialektischen Bewegung der wirklichen Welt“ („Feuerbach“, 38).

Fragt man nach dem Inhalt dieses „allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzes“, so erhält man zur Antwort etwa: es ist das Gesetz, wonach alles in der Welt „aus sich heraus“ seinen Widerspruch (oder Gegenteil oder Gegensatz oder Negation oder Antagonismus oder [so in der „Misère“] opposition, contraire) erzeugt, durch dessen Aufhebung dann das entsteht, was wir „Entwicklung“ nennen. Was damit gemeint sei, lässt sich eigentlich nur durch Beispiele verdeutlichen. Ich führe einige an, da ein jedes offensichtlich etwas anderes besagt. Aber darin gerade kommt eine der Eigenarten der „Dialektik“ zum Ausdruck. Aus Engels’ „Anti-Dühring“ (s. 125. ff.).

a) Position a, Negation –a, Negation der Negation +a2, „das heißt, die ursprüngliche positive Größe auf einer höheren Stufe“;

b) Position das Gerstenkorn, Negation seine Pflanzung, Negation der Negation der Halm bzw. das neue Gerstenkorn, aber in 10-, 20-, 30facher Anzahl;

c) Position das Ei des Schmetterlings, Negation die Raupe, Negation der Negation der fertige Schmetterling;

d) Position urwüchsiges Gemeineigentum, Negation das Privateigentum, Negation der Negation der Kommunismus;

e) Position die griechische Philosophie=Materialismus (!), Negation die deutsche idealistische Philosophie, Negation der Negation die moderne Erfahrungswissenschaft;

Aus Marx, „Misère“ und „Kapital“: Marx hat vor allem die „Widersprüche“ entwickelt, die im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft sich entfalten, und deren „Auflösung“ durch den „Umschlag“ in den Kommunismus erfolgt.

Es genügt daher, einige der „Widersprüche“ namhaft zu machen, die also durch Position und Negation entstehen, während die Negation der Negation in allen Fällen der Kommunismus ist.

Produktion des Reichtum – Produktion des Elends,

Entwicklung der Produktivkräfte – Entwicklung der Repressionskraft,

Erzeugung des bürgerlicher Reichtums – Vernichtung des Reichtums einzelner,

das feudale Monopol – die Konkurrenz,

die Organisation der Betriebe – die Anarchie auf dem Markte,

Privateigentum – Expropriation durch die Kapitalisten.

Besonders wichtig ist die Auffassung, dass alle „Widersprüche“, die sich im Schoße einer Gesellschaft entwickeln, ihren letzten und entscheidenden Ausdruck in dem Antagonismus der Klassen uns im Klassenkampfe finden.

Engels hat uns auch einige Finger zeige gegeben, wie man in den Besitz dieser Geheimlehre gelangen kann. Freilich bedarf es dazu einer spezifisch proletarischen Bewegung. Er sagt: Man denke nicht, dass schon jede „Negation“ eines Zustandes, einer Tatsache die richtige Negation sei: man könne ja das Gersterkorn z. B. auch „negieren“, indem man es zertrete oder esse. So einfach ist die Sache also nicht. „Ich muss die erste Negation so einrichten (!), dass die zweite möglich bleibt oder wird.“ „Jede Art von Dingen hat also ihre eigentliche Art, so negiert zu werden, dass eine Entwicklung dabei herauskommt.“ „Das will gelernt sein.“ („Anti-Dühring“, S. 133.)

Es passiert aber den Meistern selbst gelegentlich das Malheur, dass sie einmal diesen Zustand, das andere Mal einen anderen als „Negation“ erklären, wodurch begreiflicherweise die Geltungskraft der dialektischen Gesetze einigermaßen Einbuße erleidet. So sahen wir oben, dass Engels die Trichotomie aus der Geschichte herausliest: Position = urwüchsiges Gemeineigentum; Negation = Privateigentum; Negation der Negation = Kommunismus. Sein Freund Marx ist anderer Ansicht, wenn er schreibt („Kapital” 15, 728): „Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses, ihre eigene Negation. Es ist Negation der Negation“ usw.

Aber das sind so kleine Schönheitsfehler, die dieser Denkweise anhaften, und die man nicht allzu scharf hervorheben muss, das sind „Widersprüche“ der dialektischen Logik, die immer nur eine Ungefährrichtigkeit zum Ziele hat.

Wirklich erstaunlich ist es nun, dass es immer noch Leute gibt, die dieses seltsame Verfahren, das sich materialistische Dialektik nennt, in eine innere Beziehung zu der Hegelschen Dialektik bringen. Man sollte doch begreifen, dass es etwas anderes ist, den dialektischen Widerspruch – wirklich: Widerspruch – im Denken und in dem diesem Denken adäquaten Geist zu finden (und etwas anderes hat Hegel nie gewollt), als in der empirischen Welt keine Widersprüche, sondern Antagonismen, Gegensätze zu entdecken. Es ist ein ungeheuerlicher Gedanke, die Hegelsche Dialektik auf die empirische Welt anwenden zu wollen. Sie ist durchaus logogenetisch, emantistisch und verliert jeden, aber auch jeden Sinn, wenn man auf empiristischem Standpunkt steht. Die Gleichsetzung der Hegelschen und der Marxschen Dialektik beruht ganz einfach auf der Schülerhaften Verwechslung von Widerspruch und Gegensatz, von kontradiktorisch und konträr. Es ist schierer Unsinn, vom Standpunkt der Hegelschen Dialektik aus, beispielsweise das Proletariat einen „Widerspruch“ zur Bourgeoisie zu nennen; oder die Puppe einen „Widerspruch“ zur Raupe. Es handelt sich also um die Gleichsetzung zweier wesensverschiedener Lehrmeinungen, die nichts miteinander gemein haben als den Namen.

Welche Art von „Gesetzmäßigkeit“ ist es denn nun aber, die in den dialektischen Aussagen enthalten ist? Ich weiß, dass die Frage von allen echten proletarischen Denkern für „fürwitzig“ und der „Borniertheit“ des Bourgeois entspringend gehalten wird, der von seinem veralteten Standpunkt aus auf eine begrifflich scharfe Erfassung eines logischen Sachverhaltes drängt. Es gehört ja gerade zum Wesen der Dialektik, dass sie alle scharfe Begriffsbildung aufhebt. Da alles im steten Flusse sich befindet, so auch die Begriffe, und schon während man ein Problem erörtert, hat sich der Begriff gewandelt, der in übrigen zu jeder Zeit ebensogut sein Gegenteil bedeuten kann. Das ist wohl der Sinn der Interpretation, die Engels dem Denken seines großen Freundes angedeihen lässt, wenn er (im Vorwort zum dritten Band des „Kapitals“, S. XVI) schreibt:

Es ist ein „Missverständnis“, dass Marx da definieren will, wo er entwickelt, und dass man überhaupt bei Marx nach fix und fertigen, ein für allemal gültigen Definitionen suchen dürfe. Es versteht sich ja von selbst, dass da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen Beziehungen nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden, auch ihre Gedankenabbilder (!), die Begriffe, ebenfalls der Veränderung und Umbildung unterworfen sind, dass man sie nicht in starre Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen bzw. logischen Bildungsprozesse entwickelt. Oder in anderer Fassung dasselbe gesagt: „Die hohe Kraft / der Wissenschaft / der ganzen Welt verborgen! / Und wer nicht denkt, / dem wird sie geschenkt, / er hat sie ohne Sorgen.“

Von unserem beschränkt bourgeoisen Standpunkt aus dagegen müssten wir etwa zu folgenden Ergebnis bei einer Analyse der dialektischen Gesetzmäßigkeit gelangen:

1. Immanente oder rationale Gesetzmäßigkeit kann sie nicht sein, da sie sich ja nicht auf das Reich des Vernünftigen beschränkt, sondern auch für Tier- und Pflanzenreich Geltung beansprucht;

2. Naturgesetzmäßigkeit ist sie aber auch nicht, da sie von einer ihrer Erfinder selbst ausdrücklich in Gegensatz zu dieser gestellt wird. Die wichtige, wenig beachtete Stelle, wo Engels dieses tut, findet sich im „Anti-Dühring“ S. 125 und lautet: „Indem Marx … den Vorgang (nämlich die Überleitung der kapitalistischen in die kommunistische Gesellschaft, siehe „Kapital“ 14, 728) als Negation der Negation bezeichnet, denkt er nicht daran, ihn dadurch beweisen zu wollen als einen geschichtlich notwendigen. Im Gegenteil: nachdem er geschichtlich bewiesen hat, dass der Vorgang sich in der Tat teils ereignet hat, teils noch sich ereignen muss (also doch wohl nach naturgesetzlicher Notwendigkeit; W. S.), bezeichnet er ihn zudem als einen Vorgang, der sich nach einem bestimmten, dialektischen Gesetz vollzieht. Das ist alles.“ (Gesperrtes von mir.)

3. Die dialektische Gesetzmäßigkeit scheint also eine Gesetzmäßigkeit sui generis zu sein.

Eine neue Auffassung vom Wesen der Marxschen dialektischen Methode vertritt jetzt wieder G. Lukacs in seinem Buche „Geschichte uni Klassenbewusstsein“ (1923). Nach ihm hat Engels die Lehre seines Freundes gründlich missverstanden. Die Methode müsse im Gegensatz zu der Ansicht von Engels auf die historisch-soziale Wirklichkeit beschränkt werden. „Die Missverständnisse, die aus der Engelsschen Darstellung der Dialektik entstehen, beruhen wesentlich darauf, dass Engels – dem falschen Beispiel Hegels folgend (!) – die dialektische Methode auch auf die Erkenntnis der Natur ausdehnt. Wo doch die entscheidenden Bestimmungen der Dialektik: Wechselwirkung von Subjekt und Objekt, Einheit von Theorie und Praxis, geschichtliche Veränderung der Substanz der Kategorien als Grundlage ihrer Veränderung im Denken usw. in der Naturerkenntnis nicht vorhanden sind.“ A. a. O. S. 17.

Es scheinen wie gesagt zum inneren Wesen der Dialektik diese „Widersprüche“ zu gehören, in denen die Ansichten der verschiedenen Dialektiker zueinander stehen. Dass es eine Ungeheuerlichkeit ist, die Hegelsche Dialektik auf die Empirie anzuwenden, scheint aber auch Lukacs nicht zu glauben. Für ihn gelten die Begriffe Widerspruch und Antagonismus (z. B. in der bürgerlichen Gesellschaft) ebenfalls durchaus als gleichbedeutend.

Leider trägt das mit viel Geist geschriebene Buch von Lukacs zur Klärung der Probleme herzlich wenig bei. Daran sind die gerade zu erstaunliche, dogmatische Befangenheit des Verfassers im Marxismus und seine völlig souveräne Verachtung der Tatsachen schuld. Mit einer ewigen Wiederholung der nun allmählich bekannten Glaubenssätze der Marxschen Dogmatik und ihrer unkritischen Paraphrasierung, mag sie mit noch so großem Talent geschrieben werden, kommen wir nicht weiter. Lukacs, der zweifellos begabteste der jüngeren Marxisten, aber auch ein wirklich nicht unbegabter Denker, ist ein sprechendes Beispiel für die Unfruchtbarkeit der „dialektischen“ Methode, wie sie angeblich von Marx angewandt sein soll. Das Buch enthält auch nicht einen neuen fruchtbaren Gedanken, der unseren Horizont erweiterte. Solche Schriften mögen als Erbauungsbücher für die Gemeinde der gläubigen Kommunisten von Wert sein. Für die Weiterführung der Erkenntnis leisten sie nichts. Wir müssen aus dem Käfig der Marxschen Orthodoxie, in dem auch Lukacs hin und her rennt, hinauszukommen trachten und uns von der Vorstellung einer notwendigen Klassengebundenheit der Erkenntnis frei machen, für die ein Werk wie das von Lukacs allerdings ein guter Beleg ist. Wenn Lukacs nach dem Vorbild von Marx in sehr häufigen Fällen den glücklichen Nachweis von dem „ideologischen“ Charakter des „ibürgerlichen“ Denkens führt, so scheint es mir endlich an der Zeit zu sein, den orthodoxen Proletismus selbst als das, was er viel mehr als die meisten Systeme bürgerlichen Denkens ist, zu erweisen, nämlich als eine „Ideologie“ und zwar die Ideologie der Handarbeiter.

So kümmerlich das logisch-analytische Verfahren, das in diesen Zeilen angewandt ist, dem Denken des echten Dialektikers auch erscheinen mag: es ist doch das einzige, das uns eine klare Einsicht in einen gedanklichen Tatbestand verspricht wie den hier erörterten des Begriffes der Gesetzmäßigkeit auch bei Marx. Und ich würde es mit Freude begrüßen, wenn die vorstehende Skizze den Anlass böte, das Problem erschöpfend zu behandeln.

 

[1] Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, 1924, Bd. 47. 11–31. – der Hrsg.