Rüdiger Dannemann

Ursprünge Radikalen Philosophierens beim frühen Lukács

Chaos des Lebens und Metaphysik der Form

 

Statt eines Mottos

„This is not an easy text to read, in part it cannot settle on any of the claims it wants to make. In any given essay there a several staccato pronouncements succeeding each other at a rapid pace, wreaking havoc on the pronouncements that immediately came before. These pronouncements are alternately grandiose and ironic, and the self-consciousness of the young critic seeking to make his mark sometimes mars the otherwise significant contribution these essays make to the history of literary criticism.”

(Judith Butler, 2010)

 

Kleine Vorbemerkung
In meinem Vortrag möchte ich einige Argumente zusammentragen, die dafür sprechen, dass Lukács bereits vor dem Ersten Weltkrieg, zu einer Zeit, in der er sich einem Ästhetizismus verpflichtet wusste, Denkpfade beschritten hat, die zu dem späteren Oeuvre eines der Klassiker radikalen Philosophierens im 20. Jahrhundert hinführen. Die Spuren sind manchmal nur zart angedeutet, es gibt auch Abwege, die sich als Sackgassen erweisen, aber es ist schon eine Richtung erkennbar, die post festum natürlich leichter zu erkennen ist als im Jahr 1911, dem Zeitpunkt der Publikation des Essays in deutscher Sprache. Voranschicken möchte ich aber auch ein persönliches Wort: Dass jetzt die russische Ausgabe von „Die Seele und die Formen“ (SuF) herauskommt, ist ein Ereignis. Wenn sich diesem Ereignis eine internationale Konferenz widmet, gibt das Anlass zu der Hoffnung, dass die Wirkungsgeschichte von Lukács` Denken nicht nur um Facetten bereichert werden wird. Hat doch der frühe Lukács – ich nenne nur die Namen Solovjeff und Dostojewski – für russische Dichter und Denker keineswegs nur ein rudimentäres Interesse aufgebracht. (Darauf möchte ich in einem Exkurs später noch zurückkommen.)

 
I.
Lukács` frühe Phänomenologie der „Versachlichung des Lebens“

Nicht erst in seiner „Theorie des Romans“ oder in „Geschichte und Klassenbewusstsein“ wird der radikale, an die Wurzeln der Probleme vordringende Duktus des Denkens von Georg Lukács sichtbar. Bereits in seiner „Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas“ wird unter anderem die zeitdiagnostische Radikalität des zukünftigen Begründers des Westlichen Marxismus zumindest erahnbar. In seiner Dramengeschichte begreift Lukács ästhetische Probleme, etwa die Erklärung genretypische Innovationen, nicht zuletzt als Ausdruck sich verändernder, problematisch-gewordener Lebensformen (1). Wir können der Schrift seine damaligen Vorstellungen über die Eigenart der bürgerlichen Gesellschaft deutlich entnehmen. Seine Untersuchung ist durch die Konfrontation der vorbürgerlichen, vor allem durch sein stilisiertes Griechenlandbild geprägten, Gesellschaft mit der bürgerlichen Gegenwart bestimmt. Problematisch ist die bürgerliche Gesellschaft von Anfang an. Entstanden im Kampf gegen den Feudalismus – so die durchaus an Marx geschulten Ausführungen – proklamiert die bürgerliche Klasse ihre Klassenmoral, ohne diese Selbsteinschätzung je ganz plausibel machen zu können (D, 74ff). Die externen Klassenauseinandersetzungen werden transformiert durch den „Prozeß des innerlich Problematischwerdens“(D80). Der Individualismus, Kernstück des bürgerlichen Selbstverständnisses, gerät zur Antinomie (D91ff). Diese These begründet Lukács durch eine Phänomenologie der bürgerlichen Sozietät, deren Herkunft von Simmel (und  Marx) auch ohne die Hinweise des Autors leicht erkennbar sind. Der bürgerliche Individualismus, der den Einzelnen aus den engen Grenzen organischer Gemeinschaften entlassen und Bindungen spürbar gelockert hat, enthält selbstnegatorische Tendenzen, die seine Intentionalität, die Autonomie des Individuums, ins Gegenteil zu verkehren droht. In den zeitgenössischen Dramen spiegelt sich unübersehbar der Befund: Die „bloße Erhaltung des Individualseins, die Integrität der Individualität ist zum Zentrum“ des bürgerlichen Lebens überhaupt geworden (D97). Die Pathologie dieser Gesellschaft ist als Folge einer „Versachlichung des Lebens“ (D97) zu diagnostizieren. Lukács macht diese „Versachlichung“ an folgenden Elementen fest: (I) Unübersehbare Evidenz beansprucht die Uniformierung des Lebens, die am Immer-Gleicherwerden der Kleidung, der Verkehrsmittel, der Arbeitsformen, der Lebensbedingungen der “Großstadt“ abzulesen ist. (II) Mit den organischen Lebensformen bricht die moderne Gesellschaft durch ihre „rationalisierte Technik“, den Prozess der Rationalisierung. Zum Opfer werden u.a. religiös-metarationalen Gemeinschaftsideologien. (III) Der moderne Arbeitsprozeß beinhaltet die „Objektivierung der Produktion, ihre Loslösung von der Persönlichkeit des Produzierenden“. Die Verfügungsgewalt besitzt ein „objektiv Abstraktes, das Kapital, (…) welches mit der Persönlichkeit seines zufälligen Besitzers kaum in einem organischen Zusammenhang steht, ja, es wird sogar vielmals überflüssig, dass dieser überhaupt eine Persönlichkeit sei (Aktiengesellschaft)“ (D95). (IV) In den Wissenschaften lässt sich ein analoger Prozeß der Rationalisierung feststellen – als Dominanz naturwissenschaftlicher Paradigmen und abstrakter Rationalitätsformen, die das „Qualitative“ und Individuelle des Lebens ausklammern bestrebt sind, zu einer verbindlichen Formulierung intersubjektiver Werte aber nicht geeignet scheinen (D74ff). (V) Einheitliche Tendenz ist die „Entpersönlichung“ des Lebens: „Die ganze Staatsorganisation (System der Abstimmung, Bureaukratie, jetzige Form des Heeres etc.), jede Erscheinung des Wirtschaftslebens (das sich auf alles erstreckende Geldwesen, Börse… usw.) weist durchgehend dieselbe Tendenz auf: die Entpersönlichung, eine auf die Zurückführung der Qualitäts- zu Quantitätskategorien hinzielende Entwicklung (D95).

Anders als Georg Simmel stilisiert Lukács die beschriebenen Tendenzen nicht zu Sachzwängen, er sieht in ihnen – dem historischen Denken Marx hier näher stehend – Entfremdungsphänomene. Freilich besitzt er damals nicht eine wie immer geartete Perspektive der Transzendierung; sein paradise lost der Vergangenheit funktioniert eventuell als Kontrastmittel, doch eine einfache Restitution der Vergangenheit kommt nicht in Betracht. An einer Stelle formuliert Lukács eine Andeutung, wie er sich eine Alternative zum abstrakt-versachlichendem Rationalismus vorstellen könnte: „Nur eine mit absoluter Macht herrschende, weder Streit noch Zweifel duldende Ideologie kann zu der Stärke anwachsen, dass sie von den Menschen nicht als Ideologie empfunden wird; dass sie also nicht ein Abstraktes, nicht ein Intellektuelles mehr ist, sondern ganz ins Gefühl übergehen und derart ganz emotionalen Charakters sein kann, als ob darin überhaupt kein wertendes Element enthalten wäre“ (D109). Dass eine solche Philosophie des Als-ob nicht ein letztes Wort sein konnte, ist wohl kaum näherer Erläuterung bedürftig.
 

II
Revolution ist bereits für den Autor von „SuF“ ein Begriff, der emphatisch Verwendung findet. Er denkt dabei aber noch nicht an die Pariser Kommune oder an die Revolutionen, die das Gesicht des 20. Jahrhunderts prägen sollten, er denkt an die Revolte der jungen frühromantischen Generation, an Novalis oder an die Gebrüder Schlegel. „In Paris träumten verträumte Doktrinäre mit grausamer und blutiger Konsequenz alle Möglichkeiten des Rationalismus zu Ende, während auf  deutschen Universitäten ein Buch nach dem anderen die stolze Hoffnung des Rationalismus, daß es für den Verstand nichts Unerreichbares gebe, untergrub und zerstörte. Überall dröhnt die Erde vom Zusammenbruch ganzer Welten, aber in einer kleinen deutschen Stadt kommen ein paar junge Menschen zusammen, zu dem Zwecke, aus diesem Chaos eine neue, harmonische, alles umfassende Kultur zu schaffen.“ (2)

Wie wir gesehen haben, spielte in seiner früher ungarisch erschienenen Dramengeschichte, die er fast zeitgleich mit dem angeführten Novalis-Text schrieb, Karl Marx eine nicht unerhebliche Rolle, wobei einschränkend anzumerken ist, dass Lukács damals in Marx noch nicht einen bahnbrechenden Philosophen, sondern den großen Soziologen vermutete. Für den Essayband spielen die kultur- bzw. sozialkritischen Ansätze von Simmel und Marx praktisch keine Rolle, was angesichts des Dramenbuchs doch eher überraschend ist. Lukács bewegt sich in Richtung eines strikten Ästhetizismus, der tatsächlich sehr gut in den Gestus und die Denkweisen des Wiener Fin de Siécle passt. Dabei lag es an sich durchaus nahe, zum Beispiel in dem Essay über Charles-Louis Philippe, einen Autor, der Armut und Elend vor einem autobiographischen Hintergrund extensiv thematisiert hatte, die soziale Frage anzusprechen.

Die Absenz von Soziologie, Politik und dem Werk von Marx in „SuF“ demonstriert: Der ungarische Denker hat keineswegs einen geradlinigen Weg zu Marx beschritten, wie er sich das in autobiographischen Skizzen gerne zurechtlegte (3), wir beobachten eher ein kompliziertes Gemenge von Annäherung und Abstoßung. Lukács setzt sich in diesen Jahren außerhalb der Essaysammlung durchaus noch mit Marx auseinander, aber er gelangt zu einer zwischenzeitlichen Distanzierung, die nicht zuletzt methodologische Gründe hat. Ein Beleg für diese These ist die Marx-Kritik, die Lukács ein Jahr nach Vollendung der Dramengeschichte ganz im Geiste Simmels gegen den historischen Materialismus formuliert. Lukács schreibt 1910, es werde „gefolgert, wenn in vielen Fällen eine gewisse Parallelität zwischen einem Menschen und einer Epoche oder zwischen der Gedankenwelt und der mit ihr gleichgerichteten ökonomische Struktur feststellbar ist, dass Letztere Ursache, das Vorherige Folge ist. Dabei bemerkt man nicht, daß die Tatsachenfeststellung nicht über sich hinausreicht. Das weitere ist lediglich Hypothese (…). Man muß verlangen, bei der Feststellung der Parallelität haltzumachen.“(4)

Der Autor von „SuF“ entfernt sich von sozialphilosophischen Fragestellungen, bleibt aber geprägt von seiner ursprünglichen und radikalen Einsicht in die zerrissene Welt der Moderne. Er schwankt zwischen philosophischer Systemkritik und Sehnsucht nach dem System (eine Sehnsucht, die er mit Ernst Bloch teilt), zwischen Abstraktion und Hinwendung zum Leben, zwischen dem (misstrauisch-beäugten und doch prägenden) Impressionismus und einem klassizistischen Willen zur Form. Der Horror vor der Zerrissenheit ist erst nachvollziehbar, wenn man Lukács` Sehnsucht nach dem Absoluten und sein radikales Stellen der Todesfrage, die einen Lucien Goldmann an Martin Heidegger erinnerte (5), im Hinterkopf hat.

Die Form des Essays ist nicht nur dem Zeitgeist geschuldet, sie ergibt sich fast zwangsläufig aus der geschilderten Gemengelage. Dem Zeitgeist entspricht die Favorisierung des Essayistischen ohne Zweifel. Károly Kókai hat in minutiöser Kleinarbeit nachgewiesen, wie intim die Bezüge zur ästhetischen Kultur Wiens sind, zu Rudolf  Kassner, Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Richard Beer, der großen Gruppe interessanter Köpfe im Wien der Jahrhundertwende, Protagonisten „einer inzwischen verschwundenen, deutschsprachigen, bürgerlichen intellektuellen Welt“(6). In der krisenhaften Spätzeit der Wiener Kultur ist der Typus des modernen Essayisten entstanden, der für Lukács (bei aller Wertschätzung der Vorgänger) paradigmatisch wird und dessen Produkt er so beschreibt:

„Der moderne Essay hat den Lebenshintergrund verloren, der Platon und den Mystikern ihre Kraft gab und auch der naive Glaube an den Wert des Buches und was darüber zu sagen ist, ist ihm nicht mehr gegeben. Das Problematische der Lage hat sich fast zu einer notwendigen Frivolität im Denken und im Ausdruck zugespitzt – bei den meisten Kritikern ist sie auch zur Lebensstimmung geworden.“ (SuF 33/4) Der frühe Lukács begegnet der Frivolität mit Abscheu, empfindet sie als existentielle Gefährdung, der nur durch den Rekurs auf individuelle Idealität zu entgehen ist. „Die Idee ist der Maßstab alles Seienden (…), nur durch die richtende Kraft der geschauten Idee rettet er (der Essayist) sich aus dem Relativen und Wesenlosen“(SuF 34/5). Woher aber nimmt der Essayist das „Recht zum Gericht“(SuF 35) – die beinahe befriedigende Antwort lautet: „er nimmt es aus sich; aus sich  heraus erschafft er seine richtenden Werte.“ Die reine Subjektivität reicht Lukács aber bereits in „SuF“ als letzte Wahrheit, als letztes Wort nicht aus. Der moderne Essayist ist für Lukács eine Zarathustra-Gestalt, „der reine Typus des Vorläufers“, der „immer Kommende, doch nie Angelangte“(SuF 36/7) Denn: „er ist es nicht, der sie (die Kriterien des Richtens, die er in sich und aus sich heraus gefunden hat) zum Leben und zur Tat erweckt“(SuF 36) – „er ist der Täufer, der auszieht, um in der Wüste zu predigen, von einem, der da kommen soll, von einem, dessen Schuhriemen zu lösen er nicht würdig sei.“ (aaO)

Material für seine Suche nach Transzendenten der Frivolität findet der Essayist an manchmal entlegenen Orten, oder besser gesagt: an Stellen, die uns wie die obskuren künstlichen Gärten des Italien der Renaissance anmuten mögen: Wer, außer Spezialisten für die Kultur Mitteleuropas oder des Fin de Siécle kennt sich noch aus im Werk von Charles-Louis Philippe, Beer-Hofmann, Kassner oder Paul Ernst? Lucien Goldmann war sogar überzeugt, Lukács` Bezugnahme auf  „zweitrangigen Schriftsteller Paul Ernst“ sei ein Ausdruck „ironischer Bescheidenheit“(7). Man wird Lukács kaum zustimmen, wenn er in seiner „Ästhetischen Kultur“ in Philippe und Paul Ernst Pioniere einer neuen Kunstepoche am Werke sieht (8). Andererseits beschäftigt sich „SuF“ mit wahrhaft repräsentativen intellektuellen Gestalten seiner Zeit: Mit Stefan George, Sören Kierkegaard, mit lebensphilosophischen Ansätzen, die er im Kontext von Romantik oder einer Debatte über das Modernisten-Idol Lawrence Sterne traktiert. Es ist sehr lohnend, etwa den Spuren von Lukács` Romantikbild oder seiner frühen Sicht auf Kierkegaard zu folgen, auch in rezeptionsästhetischer, ideengeschichtlicher oder philologischer Absicht. Darum geht es mir aber in den folgenden Ausführungen mitnichten. Im Rahmen des gestellten Problemzusammenhanges begnüge ich mich mit einer Skizze der Gründe, die Lukács in den Fällen Novalis und Kierkegaard von einem Scheitern sprechen lassen. Bereits Rudolf Kassner hatte den lange ignorierten dänischen Philosophen essayistisch wiederaufgewertet, indem er dessen Leben und Werk zu rekonstruieren versucht. (9) Lukács – den Prinzipien von „SuF“ folgend – begnügt sich mit der Rekonstruktion eines Bruchstücks, der Beziehung zwischen dem Kopenhagener Philosophen und Regine Olsen. Das „Tagebuch des Verführers“ interessiert Lukács als Versuch, in paradoxer Weise Form und Leben miteinander zu versöhnen. „Kierkegaards Heroismus bestand darin: er wollte Formen schaffen aus dem Leben.“ (SuF 88) Das Scheitern der Liebe, das Posieren als Verführer, das paradoxe Lieben in der Form des Erstickens derselben, zeigt die Unmöglichkeit des Unterfangens. Die Liebe zu Regine Olsen erweist sich letzten Endes als Vorstufe zu authentischer Religiosität. Sogar „die zutiefst geliebte Frau war nur ein Mittel, nur ein Weg zur großen Liebe, zur einzig absoluten Liebe, zur Liebe Gottes“ (SuF 79). Auch Friedrich von Hardenberg wird in SuF zum Sucher nach einer authentischen Lebensform. Lukács situiert Hardenberg als Mitglied einer kulturrevolutionären Gemeinschaft, wie er die frühromantische Bewegung interpretiert. Die „Aphorismen und Fragmente des Athenäums (…) sind nicht Leistungen jeweils eines einzelnen Menschen; von vielen kann man nicht einmal den Urheber feststellen. Denn es kam ihnen hier auf die Betonung der gleichen Richtungen und Wege an, so daß sie manchmal die Gedanken der Verschiedenheit zu einem neuen Ausspruch synthetisierten, nur um die Wirkung der Zusammengehörigkeit herauszubekommen und das allzu scharfe Hervortreten einer Einzelpersönlichkeit zu vermeiden.“(SuF 103) Im Kreis der Frühromantiker ist Novalis gleichwohl die interessanteste Gestalt, weil er der einzige ist, der als „Lebenskünstler“ (SuF 117) bezeichnet werden kann. Die Balance zwischen Kunst und Leben gelingt aber Novalis, indem er das Leben negiert. Nur „der Tod brachte die Antwort“ (SuF 117) auf seine Fragen. (10)

Wie kann man leben – das war für die großen Repräsentanten von romantischer Lebensphilosophie und ist vor allem für den jungen Lukács, der ja „bei Gelegenheit“ von allerlei als Zeitgenossen empfundenen Werken und Gestalten vorzüglich seinen eigenen philosophischen Standort bestimmen möchte, die Frage aller Fragen. „Das Leben ist eine Anarchie des Helldunkels, nichts erfüllt sich in ihm ganz,  kommt etwas zum Ende, immer mischen sich neue Stimmen, verwirrende, in den Chor jener, die schon früher erklangen. Alles fließt und fließt ineinander, hemmungslos in unreiner Mischung; alles wird zerstört und zerschlagen, nie bleibt etwas bis zum wirklichen Leben… Das Leben ist das Unwirklichste und Unlebendigste alles denkbaren Seins.“(SuF,328/9). Die SuF insistiert beinahe manisch auf dem Ekel vor der Banalität der Existenz – vor allem in der Gegenwart. Die Schrecken der Seelenlosigkeit von Natur und Schicksal, die Einsamkeit des Menschen war nie so ausgeprägt (SuF 331). Diese tatsächlich existentialistisch anmutende Desolation Row provoziert die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, u.d.h. für den Autor der Essaysammlung zunächst die nach der Tragödie und  dem tragischen Menschen. “Das Vollkommen-Sein ist das Da-Sein der Menschen der Tragödie.“(SuF 336) Diese Vollkommenheit negiert undialektisch schroff die übliche Existenz. Lukács beruft sich auf zwei wichtige Erfahrungen, die Exempla des Wesentlichwerdens der Menschen darstellen und so dem tragischen Menschen entsprechen.  Die Erfahrung der Grenze – Lukács verweist lange vor „Sein und Zeit“ auf  den Tod als “Grenze an sich“ (SuF 345) – zwingt das Leben zum Eindeutigwerden, zum Sichselbstfinden. „Die Erkenntnis der Grenze schält ihr (der Seele) Wesen aus ihr heraus, lässt alles andere achtlos-verächtlich von ihr abfallen, diesem aber gibt sie das Dasein der inneren und einzigen Notwendigkeit“(SuF 347). Das „Vollkommen-Sein“ ist als Erlebniswirklichkeit des Lebens durchaus bekannt – als “die blutvoll unmittelbar erlebte Wahrheit der großen Augenblicke“ (SuF 336), des Wunders. Im großen Moment der tragischen Entscheidung wird der “zufällige Fluß des Lebens“, der „bodenlose Moment“ uneigentlichen Existierens beiseite gewischt; im „schonungslosen Selbstgericht der Seele“ vollendet sich das “eine Erlebnis der Selbstheit“ (SuF 336.). Die angesprochenen Erlebniswirklichkeiten sind Lukács vertraut aus den ihn wie Bloch damals beeindruckenden Traditionen der Mystik, auf die er sich explizit beruft, (vgl. SuF 343). Eine Realisierungsmöglichkeit im Alltagsleben – definiert im Sinne der späten „Ontologie“ oder der Praxisphilosophie von „Geschichte und Klassenbewusstsein“ –  ist in „SuF“ noch nicht vorgesehen. Das Essentielle im Draußen zu suchen, das ist für den frühen Lukács eine Sackgasse, ein Irrweg. Er schreibt an Max Weber: „Wir müssen immer wieder betonen, dass das einzig Essentielle doch nur wir sind, unsere Seele, und selbst deren apriorische Objektivationen sind (nach einem schönen Bilde Ernst Blochs) auch nur Papiergeld, dessen Wert von der Einlösbarkeit in Gold abhängt.“ (11)

 
III Exkurs
Frühe ethische Entwürfe

Wie Machado feststellt (12), sind im Formbegriff von „SuF“ noch Ästhetisches und Ethisches zusammengedacht – sozusagen als Synthese der ersten beiden Stadien Kierkegaards. Die Ausarbeitung des ethischen Aspekts erfolgt in den Jahren nach dem Erscheinen von „SuF“, sie führen aber nicht zu einer Lösung, die den Suchenden selbst zufrieden stellt (13). Doch seine Versuche sind ebenso eindringlich und interessant wie die praktisch parallel entstehenden Entwürfe einer systematischen Ästhetik, die, wie man weiß, unter anderem Max Weber fasziniert verfolgte. (14) Bereits 1912 zeichnet sich eine Wendung ins Ethische in dem Dialog „Von der Armut am Geiste“ ab, deren Hintergrund bekanntlich der Selbstmord Irma Seidlers bildet, und die Schuld bzw. Mitschuld Lukács` an dieser privaten Tragödie. Der männliche Protagonist dieses Dialogs, offensichtlich ein Sprachrohr des Autors, definiert seine Schuld in einer für den Lukács dieser Jahre typischen Art so: „Ja, ich trage Schuld an ihrem Tod; vor Gott versteht sich. Nach allen Satzungen menschlicher Sittlichkeit habe ich nichts verschuldet, habe im Gegenteil alle meine Pflichten (er sprach das Wort mit großer Verachtung) redlich erfüllt.“ (AaG 69f).Der Text entfaltet einen unverhüllt metaphysischen, man könnte auch sagen religiösen Diskurs. Der poetische Gestus erhält von hierher seine Berechtigung: auch die für die Dostojewski-Notizen richtungsgebende Leitfrage nach einer angesichts der Verstrickungen in Schuld möglichen authentischen Lebensform kann in einem strikt rationalen Diskurs nicht angemessen behandelt werden. Der Dialog gibt eine drei Stufen unterscheidende Typologie der möglichen Lebensformen. Zunächst gibt es das „normale“ Leben, das Lukács auch das „gewöhnliche“ nennt. Dessen Merkmale entsprechen denen, die uns aus SuF vertraut sind (AaG 83). Eine Formung des Chaos leistet die Pflichtethik – der Autor orientiert sich hier an Kant. Die Ordnungsmacht der Pflicht bezahlt aber einen erheblichen Preis: die Pflichtethik mit ihren universalistischen Prinzipien zerstört die Unmittelbarkeit des Lebens und wird deshalb von Lukács als „widermenschlich“ (aaO) bezeichnet. „Sie (die Pflicht) ist eine Brücke, die trennt.“ (AaG 71)

Lukács` Protagonist sieht die Möglichkeit einer Überbietung der Pflichtethik in einem Existenzmodus, den er mit einem Begriff der mittelalterlichen Mystik „Güte“ nennt. Güte überwindet die tradierte Ethik, jene „erste primitive Erhebung des Menschen aus dem Chaos des gewöhnlichen Lebens“ (AaG 75). „Güte“ ist höchste Lebensform, weil sie dem, was das „einsam-große Kunstwerk schafft“, Formwerdung, „die Rückkehr in das wirkliche Leben, das wahre Heimfinden des Menschen“ (ebda) ermöglicht. Der Mensch der Güte ist ein Gnostiker der Tat, dessen Handeln göttlich ist, auch wenn es Gewalttaten, Verbrechen impliziert. Er legitmiert sich durch das Ethos des Werkschaffens: „Die Privation der Seele durch Armut zur Aktivität, zum fruchtbaren und furchtbaren Wüten des Werkes, das nach Realisation hungert“ (AaG 88f).

Die in dem knappen Dialog von 1912 skizzierte Ethik der Tat erhält klarere Konturen, wenn man die Dostojewski-Notizen heranzieht. Diese Entwürfe sind ein Amalgam heterogener intellektueller Tendenzen (15), insofern typisches Dokument einer Schwellenzeit, in der Sören Kierkegaard und Marx, Sebastian Franck und Dostojewski koexistieren. Letzterer ist für ihn bedeutsam, insofern er sich zum Metaphysiker entwickelt hat und bei der Problemsituierung, bei dem „Dilemma der Substanzialität: Seele oder Staat (objektiver Geist)“ (DN, 90) relevant wird. Lukács skizziert die Umrisse seiner Ethik in einer Gegenüberstellung von 1-ter und 2-ter Ethik. Die 1-te Ethik leistet die Überwindung purer Naturhaftigkeit, tut dies aber noch in der Gestalt einer abstrakten, lebensfeindlichen Ethik. Diese „alte Ethik“ formuliert, wie Lukács in einem Brief vom 4. Mai 1915 an Paul Ernst schreibt, nur „Pflichten den Gebilden gegenüber“. Die 2-te Ethik umfasst die „Imperative der Seele“. In ihrem Bereich gelten die empirischen Kausalitäten und Kontingenzen nicht, es existiert eine neue „Unmittelbarkeit“ des neuen Menschen. Lukács findet solche Menschen der neuen Ethik in Dostojewskis Werken gestaltet. Dostojewskis Helden suchen nach Lebensformen jenseits der Tragik. Sie erlangen Erlösung nur durch Abstraktion vom Nichtseelischen; die empirische Welt ist für sie „nur wie durch einen Schleier sichtbar“ (DN 70). Das Finden der eigenen Seelensubstanz ist erkauft durch einen „ethischen Solipsismus“. An diesem Punkt konvergieren Dostojewski und Kierkegaard. Auch der dänische Philosoph setzt sich von den Strukturen der „alten Ethik“ ab, speziell natürlich von der des institutionalisierten Christentums. Nach Kierkegaard führt der Übergang zu einem höheren Stadium des Existierens  „in die Einsamkeit, Verschlossenheit (DN 149), doch der Durchbruch zu echter Religiosität reformuliert nur das Dilemma von Ich und objektivem Geist (Gesellschaft). Lukács kommentiert: „So soll das Religiöse die Menschen endgültig trennen, statt sie zu verbinden?“

Einen Lösungsansatz verspricht die Wendung des Problems ins Geschichtsphilosophische. In einer Welt, in der gilt: „unmittelbare Gesundheit des Geistes gibt es nicht“, wird die Beseitigung des „jehovaischen Schlachtfeldes“ (vgl. DN 87) zu unaufschiebbaren ersten Frage. Daher rührt Lukács` damaliges Interesse am Marxismus und an der Praxis der russischen Terroristen, verkörpert in Ropschin. Der Terrorist, der den Zarismus bekämpft, verwirklicht die Marxsche Version einer 2-ten Ethik. Marx – so die DN – will jedes Transzendieren auf vollkommene Immanenz hin umarbeiten, den Kampf gegen das „Jehovaische“ exklusiv im Interesse immanent-irdischer Ziele zu führen. Der Lukács der Weltkriegszeit ist aber noch nicht bereit, den  Weg des Revolutionärs voll und ganz zu bejahen, bzw. sich in die Schar der „Mystiker der Revolution“ einzureihen. Das Opfer, das der Revolutionäre zu bringen hat, „buchstäblich seine Seele zu opfern: aus 2-ter Ethik nur 1-te tun“ (DN, 125ff), dazu ist er noch nicht bereit. Die Solidaritäts-Typen, die er in Dostojewskis Werk zu finden glaubt (16), die Wiederaufnahme urchristlicher Formen der Nächstenliebe – Lukács zitiert Dostojewskis Puschkin-Rede:„`Ein echter, (…) ein ganzer Russe werden (…) heißt vielleicht nur (….) ein Bruder aller Menschen werden`(Puschkin-Rede 150)“ (DN 181)-, bewahren den russischen Romancier und seinen philosophischen Bewunderer vor einem Übergang zum Typus des Revolutionärs. Aber angesichts des Weltzustandes hält Lukács es auch für wenig realistisch, Dostojewskis Utopie gelungenen Lebens für mehr als ein uneinlösbares Versprechen zu halten. Dostojewski erweist sich insofern ebenfalls als nicht tragfähige Basis der postulierten Überwindung des Solipsismus ohne Aufopferung des Ichs an die zu Gebilden erstarrten Realitäten. (17)

 
V.
Einige Schlussfolgerungen

Was zeigt der Exkurs? Wir sehen, dass Lukács die starke, ja rigoristische ethische Komponente seines Denkens ausbaut. Die Ethos-Ausführungen von „SuF“ sind keine zu vernachlässigenden Randerscheinungen, sondern Basiselemente. Die Suche nach einer „Gemeinschaft“, in der die Probleme von Solipsismus (Isolation der Seele), Impressionismus (Flüchtigwerden der Erlebniswirklichkeiten) und später Hegelianismus (das Problem der erstarrten Objektivationen, das mit Simmel als tragisch betrachtet wird) aufhebbar sind, gerät immer mehr in das Zentrum seines Denkens – eine Folge theorieimmanenter, aber auch historischer Entwicklungen. Mit der „Formulierung einer großen philosophischen Lösung, (einer) radikale(n) politische(n) Handlung“ bekennt sich Lukács zu „in Wien nie vertretbare(n) Alternativen.“ (18)

Wir stimmen Lucien Goldmann und Theodor W. Adorno zu, wenn sie in den ihre Vorläufigkeit reflektierenden Schriften des frühen Lukács – auch in „SuF“ – Texte von europäischem Format sehen: Goldmann hebt auf die alle Akademismen negierende Radikalität des Ungarn ab, dessen Rigorismus tatsächlich an die Attitüden der Existentialisten erinnert. Noch der Heroismus der Tragödie-Konzeption von „SuF“ weist Affinitäten zum existentiellen Humanismus eines Albert Camus auf, der in Sisyphos einen tragischen Helden sieht, der in der Absurdität seiner Existenz seine Haltung bewahrt und seinen Sinn findet. (19) Adorno rühmt Reflexionsniveau und die stilistischen Meriten der frühen Arbeiten, die Dichte und Qualität der gedanklichen Darstellung, die ja auch – nebenbei bemerkt – für jeden Übersetzer eine Herausforderung bedeutet.(20) Lohnend wäre es heute, der Frage nachzugehen, inwiefern „SuF“  dem postmodernen Paradigma nahe kommt. Hat nicht Lukács lange vor Derrida und anderen Grenzüberschreitungen zwischen Philosophie und Literatur vollzogen?

Aber – und damit kommen wir bei allen Komplimenten zu den nagenden Fragen des Zweifels –  muss man nicht letzten Endes von einem Scheitern Lukács` als Philosoph der Moderne sprechen (so noch Kokai, (21))? Es ist klar, dass das bilanzierende Urteil nicht ohne eine Wertung des marxistischen Werkes von Lukács möglich ist. Wenn meine Sicht auf Lukács` Werk richtig sein sollte, dann führt sein Weg doch mit einer gewissen Konsequenz zu seiner Theorie der Verdinglichung, in der er seiner ursprünglichen Diagnose einer transzendental obdachlos gewordenen Welt auf hohem konzeptionellem Niveau zu begegnen suchte. Seine Antwort – die Verdinglichungstheorie – hat Schule gemacht, wie das Denken des 20. Jahrhunderts zeigt (22). Georg Lukács befand sich demnach nicht, den Spuren Kierkegaards folgend, auf dem Weg zu seiner religiösen Phase, als er über seine ästhetische Phase von „SuF“, die stets auch eine ethische war, hinausging (23). Er war – ansatzweise und keineswegs konsequent (24) – auf dem Weg zu seinem Marx, zu seinem „orthodoxen“ Marxismus, den die ehedem mächtigen Marxisten-Leninisten für das allzu attraktive Ketzertum eines Revisionisten hielten Es kann aber aus heutiger Sicht bezweifelt werden, dass es dem Stichwortgeber des Westlichen Marxismus auf diesem Wege gelungen ist, alle starken Annahmen (Konzepte) von „SuF“ aufzubewahren. Die im Begriff der „Seele“ mitgedachten Aspekte des Konkreten, Lebendigen, ja auch: des Irrationalen werden in den folgenden Jahren nicht in der wünschenswerten Differenziertheit ausgearbeitet. (25) Erst im Spätwerk kommt Lukács in einem ganz anderen Kontext, einer Ontologie des Alltagslebens, auf solche Zusammenhänge wieder zurück. Mit welchem Erfolg – das steht auf einem anderen Blatt.

 
Siglenverzeichnis
D: Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas,1911, GLW Band 15, Darmstadt-Neuwied 1981

SuF: Die Seele und die Formen Berlin 1911, Neuausgabe Neuwied u. Berlin 1971

AaG: Von der Armut am Geiste, in: Neue Blätter, II, 5-6, Seite 67ff

DN: Dostojewski. Entwürfe und Notizen. 1915. Budapest 1985

 

(1) Georg Lukács, D 63f und 94f.

(2) Georg Lukács, SuF 64.- Vgl. auch Georg Lukács, Heidelberger Notizen (1910 – 1913) Budapest 1997.

(3) Georg Lukács, Gelebtes Denken, in: GLW Bd. 18, Bielefeld 2005, Seite 204. – In meiner monographischen Studie zur Philosophie Georg Lukács` habe ich Lukács` damalige Nähe zur Lebensphilosophie detaillierter dargestellt. Vgl. Rüdiger Dannemann, Das Prinzip Verdinglichung, Frankfurt/ Main 1987, Seite 61ff.

(4) Georg Lukács, Zur Theorie der Literaturgeschichte (1910) Seite 47. In den Heidelberger Notizen (siehe Anm. 2) bleibt folgerichtig das Werk von Marx unerwähnt, während die Auseinandersetzung mit Simmel eine Fortführung findet.

(5) Lucien Goldmann, Dialektische Untersuchungen, Neuwied und Berlin 1966, Seite 312. Für andere (z.B. für Keller oder Kókai) ist Lukács` radikale Infragestellung der Moderne  eher ein Beleg für dessen latenten Konservatismus. – Jetzt hat Axel Honneth erneut die Frage einer Nähe Lukács` zum frühen Heidegger (und dessen Begriff der „Sorge“) aufgeworfen.

(6) Károly Kókai, Im Nebel. Der junge Georg Lukács und Wien. Wien 2002, Seite 15. In seiner verdienstvollen Studie gelangt Kókai zu wichtigen Resultaten, überschätzt aber m.E. die Bedeutung der österreichischen Philosophen, wenn er op. cit. Seite 22 schreibt: „Die Antworten (…) der österreichischen Philosophen Bernard Bolzano, Franz Brentano und Ernst Mach waren für Lukács in allen Perioden seines frühen Schaffens von entscheidender Bedeutung.“

(7) Goldmann, op.cit. Seite175.

(8) Vgl. E. Keller, Der junge Lukács. Antibürger und wesentliches Leben, Frankfurt/ Main 1984, Seite 86.

(9) Rudolf Kassner, Sören Kierkegaard (1906).

(10) In Theodor Storm porträtiert Lukács die bürgerliche Variante des den Solipsismus überwindenden Künstlers. Die Welt, in die hinein Storm seine bürgerlichen Helden stellt, ist aber prämodern. So ist Storms Verzicht auf die Romanform, die Beschränkung auf Lyrik und Novelle ebenso konsequent wie signifikant (vgl. Lukács, SuF Seite 109).

(11) Georg Lukács; Briefwechsel 19021917, hg. Von E. Karadi u.E. Fekete, Stuttgart 1982, Seite 349.

(12) Carlos E. J. Machado, Die Formen und das Leben. Ästhetik und Ethik beim frühen Lukács. Arbeitspapiere des Lukács Instituts für Sozialwissenschaften. Paderborn 1994

(13) Zu Lukács` Versuchen einer Begründung eines eigenen ethischen Ansatzes vgl. Rüdiger Dannemann, Lukács` Kritik der gesellschaftlichen Vernunft, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 40, 1992 1-2, Seite 163ff. und ders., Georg Lukács zur Einführung, Hamburg 1997, Neuauflage Wiesbaden 2005, Seite 85ff.

(14) Vgl. hierzu Joachim Radkau, Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens. München u. Wien 2005 Seite 575f.

(15) Vgl. Rüdiger Dannemann, op.cit. Seite 192.

(16) Vgl. op.cit. Seite 193  und Seite 196.

(17) Zu den Gründen der Aufgabe des Dostojewski-Projekts vgl. op.cit.197. Mit meiner Darstellung setzt sich zum Teil affirmativ, zum Teil kritisch auseinander Andreas Hoeschen, Das „Dostojewsky“-Projekt. Lukács` neukantianisches Frühwerk in seinem ideegeschichtlichen Kontext. Tübingen 1999 Seite 272. Zum Scheitern der „Waffenbrüderschaft“ mit Béla Balázs vgl. Hanno Loewy, B. Balázs, Märchen, Ritual, Film, Berlin 2003. Mit Balázs verbanden Lukács eine Reihe gemeinsamer Problemstellungen und Projekte, u.a. ihre Sicht des Todes und die Sehnsucht nach einer neuen Form von Gemeinschaft.

(18) Kokai op.cit Seite 227.

(19) Goldmann, op. cit. Seite 173 und ff.

(20) Theodor W.Adorno, Noten zur Literatur II, Frankfurt/ Main 1969 Seite 152

(21) Kokai, op. cit. 15

(22) Lukács` Verdinglichungstheorie hat Schule gemacht, vgl. dazu das von mir betreute Lukács-Adorno-Dossier (1.Teil in:  F. Benseler, W. Jung (Hg.) Lukács-Jahrbuch Bielefeld 2004, Seite 65 -180; 2. Teil in: Lukács-Jahrbuch 2005, Seite 55 -190); vgl. weiterhin Peter Bürger, Verschüttete Spuren. Georg Lukács in der Frankfurter Schule, in: Neue Rundschau 3/2003 und jetzt Axel Honneth, Verdinglichung, Frankfurt/ Main 2005.

Die Diskussion über Honneths Reformulierungsversuch hat gerade erst (nicht zuletzt in Frankreich und den USA) begonnen. An ihr beteiligt sich u.a. Judith Butler ((Response to Axel Honneth. Tanner Lectures, Man. 28 S.) Als eine Übereinstimmung (trotz aller Divergenzen) zwischen Lukács und dem Frankfurter Philosophen hält Butler fest: „In Honneth`s view (and ultimately, in Lukács`s), reification can never fully objectivy our relations to others, to nature or, indeed, to ourselves. For a full objectivation to happen, recognition would have to be fully eviscerated.“ (Man. S.5) – Inzwischen hat der Frankfurter Philosoph seine Vorstellungen über den Verdinglichungsbegriff in einer „Nachbetrachtung“ präzisiert, die im nächsten Lukács-Jahrbuch (2010) veröffentlicht werden wird. Bemerkenswert ist hier u.a., dass Honneth seine Verdinglichungsschrift als Versuch betrachtet, Marx` Philosophie in unverbrauchter Weise zur Geltung zu bringen, in Abgrenzung von den s.E. verfehlten Pfaden der Aneignung im 20. Jahrhundert.

(23) Endre Kiss glaubte, bei Lukács eine Wiederholung der Kierkegaardschen Stadien wieder erkennen zu können. Vgl. E.K., Lukács, Wien, Belle Époche, in: Annales Universitatis Scientarum Budapestinensis De Rolando Eötvös Nominatae. Sep. Philosophica et Sociologica. Tomus XIX., Budapest 1985, Seite104

(24) Ich habe eingangs Judith Butlers entsprechende Beobachtung zitiert. Der offen-experimentelle Charakter des frühen Essaybandes macht ihn natürlich für unterschiedliche Deutungsansätze zugänglich. Sehr interessant ist der Band auch in methodologischer Hinsicht. Butler stellt die sehr bedenkenswerte These auf, in SuF habe Lukács die späteren Debatten „between formalist and historicist approaches to literature“ vorweggenommen, und zwar „by several decades“.

(25) Viel schärfer fällt Ágnes Hellers Kritik an der geistigen Weiterentwicklung Lukács` aus. Ihr Urteil ähnelt dem Adornos sehr stark. An Judith Butlers „Introduction“ zur amerikanischen Neuausgabe von SuF fällt auf, dass sie sich solch scharfer Verurteilung von Lukács` „Sündenfall“ enthält.

 
Nachbemerkung:
Der ursprüngliche Text wurde am April 2006 in Moskau in der Akademie der Wissenschaften (Institut für Philosophie) vorgetragen. Anlass war eine internationale Konferenz, die gelegentlich der russischen Übersetzung von „Die Seele und die Formen“ (Übersetzer und Inspirator der Tagung: Sergej Zemlyanoy) veranstaltet wurde. Mitveranstalter der Konferenz war das Ungarische Kulturzentrum in Moskau (federführend Frau Ilona Kiss).  Einige aktualisierende Bemerkungen sind hinzugefügt. Ich hätte mich gerne genauer mit neueren Ausführungen zu „SuF“ beschäftigt (ich denke hier vor allem an Judith Butler, Ágnes Heller oder Stefanie Benke), muss diese Absicht aber auf einen späteren Zeitpunkt vertagen.